#130 Nach Mitternacht gefüttert

Dienstag, 28. August 2018

Wie ausgesprochen schade: Schon so kurz nach der Eröffnung ist offenbar die BrauBar in der Breiten Straße, um die Ecke vom Café Riptide, schon wieder geschlossen. Da geht der Ecke aber etwas verloren. Kürzlich – kleines Wortspiel im Zusammenhang mit einer Brauerei, haha – probierten Andrea und ich die kleine Bar aus, die mit der privaten Stebner-Brauerei benachbart war. Wir waren überrascht, wie perfekt diese Einrichtung erschien, als wäre es von langer Hand durchdesignt worden, jedoch, anders als Franchise-Kneipen, mit Seele. Gemütliche Möbel aus Holz, eine Liegewiese aus Kunstrasen und Europaletten, und als kleines Gimmick auf den Tischen neben den Blumen in der Bügelflasche unterhaltsame Kronkorkenbäume mit Magneten, mit denen man herrlich die Zeit zwischen zwei Bieren überbrücken konnte. Zwei Biere mindestens sollten es schon sein, die Eigensorten schmeckten hervorragend, auch die saisonalen Fremdbiere überzeugten. Gut, mit dem ganzen IPA-Kram kann ich nichts anfangen, die sparte ich mir aus, aber der Rest war naturtrüb und schmackhaft. Und das soll jetzt schon wieder vorbei sein? Die Zukunft der Bar ist scheinbar noch ungewiss, ab und zu mal nachgucken empfiehlt sich da wohl schon.

Aber das Riptide existiert munter weiter, das wäre ja auch noch schöner, sollte dem einmal irgendjemand Steine in den Weg legen wollen! Der herrliche Sommer holt seit dem jüngsten kühlen Wochenende etwas Luft, für morgen sind wieder hohe Temperaturen angekündigt, je nach App zumindest, die man befragt, und schon jetzt sitzen die meisten Gäste wieder sommerlich unter dem Segeltuch im Achteck. Ins Café komme ich kaum, Stecky, der heute eigentlich in der Küche eingesetzt ist, krault vor der Tür den überdimensionalen weißen Hund eines Gastes. „Lass den Hund in Ruhe“, ruft ihm einer der drei Stefans, der Zeuke nämlich, von der Einraumgalerie zu. Stecky verteidigt sich: „Ich hab doch sonst keine Freunde!“

Vor einer Weile erzählte mir Niclas, als ich nebenan bei Serge saß, dass es gelegentlich Konzerte im Riptide gibt von Bands, die abends im Eulenglück, dem früheren Panoptikum, Merz, Capitol, auftreten. Das habe ich gar nicht mitbekommen und frage Chris danach, der hinter der Theke die Kundenwünsche entgegennimmt. „Ich habe früher mal für Undercover gearbeitet, lange vor dem Riptide“, beginnt Chris. Undercover ist die Braunschweiger Konzertagentur, die die Gigs unter anderem im Eulenglück ausrichtet. Chris: „Wir verstehen uns, wir kennen uns, und wenn es musikalisch umsetzbar ist, treten die Bands vorher akustisch bei uns auf.“ Die Rogers und Kafvka machten den Anfang, die Rapperin Haiyti indes tritt die Folge am 6. Oktober nicht an: Ihre Musik lässt sich nicht akustisch umarrangieren. Anders Kafvka, „die machen Hip Hop mit Brettgitarren, wie Rage Against The Machine“, erzählt Chris, und die liefen im Handelsweg mit akustischen Instrumenten auf: „War mega!“ Und zeitlich muss es passen, dass die Künstler rechtzeitig vor dem Auftritt im Eulenglück schon in Braunschweig sind, damit noch Spielraum fürs Riptide bleibt.

Beim Thema Akustikkonzert schwenkt Chris zur Reihe Songs & Whispers, die europaweit ausgerichtet wird und auch im Riptide wieder monatlich stattfindet, „unplugged und umsonst“. Zum Auftakt spielt am 14. September Ruven Dru. Chris schwärmt von Songs & Whispers: „Das ist ein europaweites Netzwerk, das wird alles ehrenamtlich organisiert – wie würde sonst ein Sänger aus Singapur oder eine Band aus Malaysia nach Braunschweig kommen!“ Bis zum Jahresende sind die Termine dafür bereits durchgeplant.

Außerdem geht es auch mit der Musikfilmreihe Sound On Screen weiter: Das Universum-Kino zeigt am 21. September die Dokumentation „Nico 1988“ über die letzten Jahre von Christa Päffgen, die einst mit Velvet Underground zu Weltruhm kam. Im Anschluss legt Chris persönlich im Riptide auf, unter seinem Alias Butch Cassidy. Die folgenden Filme der Staffel sind: „Ryuichi Sakamoto: Coda“ am 18. Oktober und „Shut Up And Play The Piano“ über Chilly Gonzales am 22. November.

Freundliche Kunden unterbrechen unser Gespräch immer wieder, die bei Chris bestellen oder die Rechnung begleichen möchten. Mit einem Stapel Punkrockschallplatten kommt Matt an die Theke, und Chris weiß schon, dass er ihn nur auf Englisch ansprechen kann: Matt kommt aus Michigan, die Familie seiner Frau lebt in Braunschweig. „Ein Onkel hat uns herumgeführt“, erzählt Matt, „wir stoppten hier eigentlich nur für ein Bier, da sah ich die Platten – beautiful!“ Bei ihm ist seine sechsjährige Tochter Finley, die ein Zwei-Euro-Stück kleingewechselt haben möchte. „Sie will in einem Automaten Buttons kaufen“, sagt Matt, und Chris ergänzt: „Und Kaffee und Bier gibt’s da auch, aber das ist mehr für den Vater.“ Finleys Drängen ist dann auch der Grund, weshalb sich Matts Aufenthalt heute so kurz gestaltet, aber er verspricht, beim nächsten Besuch in Braunschweig wieder vorbeizukommen.

Im Hintergrund beginnen die Commodores, „Easy“ anzustimmen, und ich bringe Faith No More ins Spiel. Wir kennen die Geschichten von Nachgeborenen, die die Originale ihrer Hits nicht kennen. Chris erzählt eine von seiner Zeit als Jugendbetreuer, als er abends zu The Police am Strand saß und irgendwann auch „Every Breath You Take“ erklang. „Da kommt ein Jugendlicher vorbei, mit Schlaghosen, so Hip Hop und cool“, sagt Chris, „er ruft: ‚Ey, was haben die mit Puff Daddy gemacht!‘, und geht weiter.“ Die Jugendleiter guckten sich verwundert an und brauchten eine Weile, bis sie den Zusammenhang erfassten. Mir fällt dabei die Situation ein, als „Ice Ice Baby“ von Vanilla Ice gerade in den Charts war und ich ein seltenes Mal Gast im Freedom in Celle war. Da ertönten die Takte mit dem charakteristischen Beat und dem Fingerschnippsen, was drei junge Rapper zum Anlass nahmen, sich auf der ansonsten leeren, aber umstandenen Tanzfläche hiphoppend in Positur zu werfen. Als dann aber Freddy Mercury und David Bowie „Under Pressure“ anstimmten, stutzten die Jungs, räumten fluchtartig die Tanze und die Umstehenden lachten. Andererseits sind auch wie Älteren bisweilen vor Nichtinformiertsein nicht gefeit. Als ich einmal bei der Indie-Ü30-Party im Nexus „Tainted Love“ von Gloria Jones spielte, sagte jemand: „Cool, so kann man das auch covern!“ Und als Werner nachts nach dem letzten Ball im Bierhaus mit Rille Elf „Ball Of Confusion (That’s What The World Is Today)“ von The Undisputed Truth als Überleitung von unserem zu seinem Programm einlegte, begriff ich erst, dass das von Love And Rockets gar kein Original ist. Nicht mal von The Undisputed Truth: Als erste spielten es 1970 The Temptations ein. Man wird alt wie ’ne Kuh…

Und noch eine Ankündigung lässt Chris mich wissen: Das Veggie-BBQ war in den vergangenen Jahren immer ein Bestandteil des Handelsweg-Festes, „das haben wir jetzt ausgegliedert: Am Samstag machen wir das vegane BBQ“. Drei Tage lang wollen André und er kochen, schnippeln, rühren und alles von Gegrilltem über Dips bis Salaten vorbereiten. Chris: „Da wird richtig aufgefahren!“

Der Sedan-Bazar – der ohne das BBQ – war dieses Jahr tagsüber etwas dünner besucht, stellten Andrea und ich fest. Noch am frühen Abend hatten früher mehr Läden geöffnet und stapelten sich viel mehr Gäste, aber das Konkurrenzprogramm in Braunschweig war an dem Tag so groß wie gleichsam zum Teil dünn besucht. Doch Chris schränkt meine Beobachtung ein: „Es war abends voller als sonst, ich war um 22 Uhr und um 1 Uhr hier, da war es megavoll.“ Möglicherweise, so Chris, weil das Kinderprogramm dieses Mal etwas reduzierter ausgefallen war, verschoben sich die Andränge vom Nachmittag in die Nacht. Hauptsache Party!

Chris muss dienstlich in den Keller, ich will weiter ins Hermans und nehme noch die „Die Tür ist zu“-Doppel-LP von den Swans mit. Dabei bestaune ich Steckys Gremlins-T-Shirt und erwähne, dass ich kürzlich feststellte, dass der Lego-Mogwai recht unerschwinglich ist, es ihn aber frecherweise auch als als „Custom“ deklarierten günstigen Fake im Internet gibt. „Du sammelst Lego?“, fragt Stecky. Na ja, ich habe da so ein, zwei Modelle und eine Handvoll Minifiguren. „Ich habe alles verkloppt mit zwölf“, sagt Stecky ungerührt. Ganze Spacelandschaften, für die ich ihn beneiden würde; meine lagern in Kartons im Keller, die originalen aus den späten Siebzigern und frühen Achtzigern. „Meine Tante hat einen Plüsch-Gizmo“, sagt Stecky. „Aber den gibt sie nicht her.“ Verständlich! Außerdem sucht Stecky noch nach Mr. Floppy, dem Plüschhasen aus der TV-Serie „Auf schlimmer und ewig“, doch sei der nicht zu kriegen: „Davon wurden damals in den USA nur 1000 Stück hergestellt, als Promo.“

Noch etwas zum Sedan-Bazar. Leider konnte Schepper zwar doch nicht auftreten, aber ihm gebührt noch eine Erwähnung hier: Ich treffe ihn sowie Andreas und Pommes nämlich anschließend im Hermans. Andreas hat eine Überraschung für Schepper, eine CD von einer Band: „Fängt mit Y an.“ Schepper ist als Rush-Fan sofort im Bilde: „YYNot?“ Die spielen Rush-Lieder nach, benannt nach dem Stück „YYZ“. Wir staunen, wie schnell er so treffsicher liegt, doch Andreas schränkt ein: „Leider ist es kein Original.“ Schepper winkt ab: „Macht nix, ist doch eh nur ‘ne Coverband!“

Matze van Bauseneick
www.krautnick.de
Fakebook

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