#62 Betrunkene Mädchen

Donnerstag, 6. Dezember

Gerade ging „LCD Soundsystem – Shut Up And Play The Hits“ im Universum zu Ende, als erster Film der neuesten Sound-On-Screen-Staffel. Mein erster Film dieser Reihe, den ich überhaupt gesehen habe, erst!, und was für ein Guter gleich. Inhalt ist das letzte Konzert von LCD Soundsystem und wie es Bandchef James Murphy damit geht. Es lohnt sich übrigens, sich die Dreier-DVD zuzulegen, denn da ist das gesamte dreieinhalbstündige Konzert als Bonus mit drauf, und das hat noch mehr geile Momente zu bieten, als der Film zeigt.

Durch den dezemberlichen Schnee zieht die Karawane ins Riptide, wo jetzt das Elektro-Duo Atari Collage spielt. Heute ist Nikolaus, das Jahr neigt sich dem unerbittlichen Ende zu, und wenn die Maya doch Recht hatten, dann nicht nur das Jahr. Eine gute Gelegenheit, mal die Gäste nach ihren beeindruckendsten Kulturerzeugnissen wie Platten, Bücher oder Filmen sowie ihrem beeindruckendsten persönlichen Erlebnis zu fragen.

Frank: Mein Lieblingsbuch war „Elementarteilchen“, mein liebster Film „LCD Soundsystem – Shut Up And Play The Hits“, der von heute, der hat mich sehr beeindruckt.

Debby: Wir sind am 12.2. zusammengekommen.

Frank: Stimmt. (Nach einer Weile) Ich würde gern noch das Slobbery-Dognose-Konzert im Hansa Kulturclub nennen.

Debby: Ich fand die Lichtinstallation im Theaterpark ganz herausragend.

Volker (1): Was ich immer total gut finde, ist das Filmfest. Man kann Kontakt zu Regisseuren und Schauspielern aus anderen Ländern haben und bekommt andere Eindrücke. Das Filmfest prägt sowieso das ganze Jahr. Die Sound-On-Screen-Reihe natürlich auch, da sind Filme bei, die sind sehr cool, zum Beispiel heute, das war eine Überraschung für mich, die Band kannte ich nicht, ich habe mich umgehört, das ging vielen so. Ich habe leider keine Zeit, ein Buch zu lesen. Das ist schade, ich habe seit zwei, drei Jahren drei, vier Bücher liegen, die ich noch lesen möchte. Ich muss unbedingt wieder mehr Bahn fahren, dann komme ich auch zum Lesen. Was auch schön ist, sind die Poetry Slams. Beim letzten habe ich meine Kiddies mitgenommen, die haben das Thema gerade in der Schule, die haben eine Lehrerin, die ist Poetry-Slam-Fan, die hat das in den Unterricht eingebaut.

Volker (2): Film ist für mich wahrscheinlich am einfachsten zu beantworten: Der Film über die Aktionskünstlerin Marina Abramović, „The Artist Is Present“, den haben wir auf dem Filmfest gezeigt. Meine Lieblings-CD, wenn ich das Jahr Revue passieren lasse, ist die neue Soundgarden, die bei mir Tag und Nacht läuft, die ist super, ich hätte nicht gedacht, dass die nach 16 Jahren so ein geiles Album machen. Als Buch nenne ich Frank Schäfers „111 Gründe, Heavy Metal zu lieben“, das fand ich gut.

Wie passend: Frank rezensierte die neue Soundgarden im aktuellen Rolling Stone. Sehr positiv.

Volker (2): Die Rezension kenne ich nicht, ich lese immer seine Rezensionen in der Jungen Welt. Die zum neuen Kiss-Album fand ich sehr abgründig. Ein besonderes Ereignis war das 26. Filmfest Braunschweig – ein Ereignis, das mein Leben bestimmt. Und Black Country Communion in Berlin in der Zitadelle, das war für mich ein tolles Konzert, im Sommer. Ansonsten wirklich: das Filmfest.

Als das Soundgarden-Album herauskam, war ich bei Saturn in Wolfsburg. Ein Freund rief zufällig an und sagte, dass er sich das Album kaufen wollte, und in dem Moment lief dreckige Rockmusik über die Marktanlage, das geht in Wolfsburg bei Saturn, da arbeiten tolle Leute. Und ich meinte zu meinem Telefonpartner, während ich zum Info-Tresen ging, dass sie gerade das neue Soundgarden-Album angemacht hätten, und der Mann am Infostand sagte, nein, das ist die neue Black Country Communion, aber gute Idee, ich mach mal Soundgarden an.

Volker (2): Soundgarden haben keine einfachen Riffs, keine einfachen Songs, ein bisschen vielschichtigere Strukturen und Texte. Man muss sich die CD ein bisschen erhören. Obwohl die neue Neil Young auch nicht schlecht ist, die ist auch eine Überraschung. Aber ich bleibe bei Soundgarden.

Axel: Es ist das Erscheinen meiner Bücher, meiner eigenen, woran mein Herzblut hängt. Das waren dieses Jahr zwei. Wobei ich gerade bei dem „Bohlweg-Zeiten“-Buch überrascht war, weil ich nie mit dem Erfolg gerechnet hätte, es gab Berichte in der Braunschweiger Zeitung, in Stadtmagazinen, es gibt eine Ausstellung, gab Lesungen, eine mit 250 Zuschauern, das ist schon sehr schön und seltsam gewesen, damit hat niemand gerechnet von uns, in der Form.

Das andere ist sicherlich das Punk-Buch, und es gab noch den Punchliner.

Axel: So gesehen waren es drei. An dem Punk-Buch hängt mein Herz, weil es das ist, wo total viel von mir drinsteckt, das hat immer ein bisschen Stichwörter, was auch richtig ist, aber interessant sind die längeren Artikel, wie der über Nirvana, die sind viel besser, weil es da die Rahmengeschichte gibt, man muss nur den ersten und den letzten Absatz lesen, da steht das Wichtigste drin, weswegen ich das geschrieben habe. DVD: „Breaking Bad“ ist eine fantastische großartige Serie, die man geguckt haben muss, man muss natürlich nichts, außer „Breaking Bad“ gucken. Das ist eine sehr moralische Geschichte, die in einer sehr zynischen Art und Weise erzählt wird, authentisch und sehr ansprechend, sehr schön, tolle Musik, tolle Schauspieler. Das spielt in Kalifornien, es scheint ständig die Sonne und es passieren nur böse Dinge – der Kontrast ist es, das es so toll macht. Es geht darum: Wie werden die Menschen böse? Ich kaufe mir keine DVDs. Außer die. Bei aktueller Musik bin ich immer ein bisschen hinterher, von Johnny Cash die „American Recordings“, da habe ich 15 Jahre gebraucht, die kennenzulernen, genau wie Nick Cave, die „Murder Ballads“, bis auf das eine Lied, das überall lief, das ist schon ein bisschen skurril.

Debby: Mir ist noch ein Album eingefallen: Mumford & Sons, „Sigh No More“.

Immo: Ich habe mir ein Büro gemietet, eine Bürogemeinschaft sozusagen, in Braunschweig, das beschäftigt mich das ganze Jahr über. Ich mache Computerkurse für Leute, die so’n Rechner haben, wo so’n Apfel hinten drauf ist, und ich mache Videos. Zum Beispiel habe ich das Konzert von Ulf Hartmann hier im Riptide mitgefilmt. Und die Poetry Slams. Und ich hab mal ein „How To“-Video gemacht, was man macht, wenn man zu viele Buttons hat. Ich habe einen Bilderrahmen genommen, wattiert, Stoff drauf gezogen, jetzt kann ich Bilderrahmen für Buttons machen. Ich wollte eigentlich zeigen, wie man ein „How To“-Video macht, und da fehlte mir das Bastelprojekt, so klickerte das alles zusammen, aus Versehen ein Problem lösen, das man gar nicht vorhat. Das Filmfest fand ich gut, „Beasts Of The Southern Wild“ hat mich am meisten durcheinandergebracht, das find ich gut, das sollte ein Film machen. Was war denn dein Lieblingsalbum?

Oh. „The Cherry Thing“ von Neneh Cherry & The Thing, davon habe ich mir vorhin erst bei Chris und André die Remix-LP abgeholt. Normalerweise, seit zwanzig Jahren ist das so, ist in einem Jahr, in dem Killing Joke ein neues Album veröffentlichen, das Killing-Joke-Album mein Album des Jahres. Nicht, weil ich das so will, sondern weil da einfach wirklich nichts heranreicht. In diesem Jahr ist es anders, da müssen sie sich geschlagen geben.

Immo: Und dann ausgerechnet gegen Neneh Cherry.

Beate: Es hat mich sehr gefreut, dass Sound On Screen schon im dritten Jahr läuft, und dass das wirklich unterschiedliche Programm sehr gut ankommt. Einige Gäste sagten, wir sind nicht bei Facebook, wir haben da keine Lust drauf, wir wollen mal woanders die Fotos sehen und Sachen lesen, darum haben wir gesagt, okay, richten wir einen Blog ein, den gibt es seit Sommer, da kann man Kommentare schreiben, muss man aber nicht. Mein Highlight und meine Entdeckung war „Backyard“, der isländische Film über ein Festival, bei dem einige Bands im Hinterhof spielen, handmade, mit Pfannkuchen, da gab es beim Film spontanen Applaus, die Stimmung war super. Ich war hinterher selber in Reykjavík, hab dort den Hinterhof gesucht und auch gefunden. Beim nächsten Sound On Screen werden wir „Heima“ von Sigur Rós zeigen. Ich habe überhaupt die isländische Musik entdeckt, FM Belfast oder, ganz andere Richtung, Retro Stefson, oder Tilbury, ganz neu, die habe ich mir gleich mitgebracht, die fand ich super. Auch eine Entdeckung war LCD Soundsystem, heute gerade, leider zu spät, nicht zu spät, die Musik kann man ja noch haben. Im Riptide fand ich die Driftwood Fairytales gut, im Januar, das war ein Gesamtpaket, bei Sound On Screen.

Atari Collage haben längst zu spielen aufgehört. Wir stellen unsere leeren Getränkeflaschen auf die Theke, grüßen und gehen in die Nacht. Einen schönen Nikolausabend!

Matze Bosenick
www.krautnick.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert