#04 Eingefleischte Vegetarier

Es ist mild an diesem Februar-Dienstag, viel zu mild für den tiefsten Winter, der laut Kalender eigentlich gerade herrschen sollte, so mild, dass sogar Gäste draußen sitzen. Zum rauchen natürlich. Drinnen genießt Olli M. das Etablissement. „Vor zwei Wochen bin ich von Berlin nach Braunschweig zurückgezogen“, erzählt er. Und gleich im Café Riptide gelandet. „Ich hab aus der Ferne schon davon gehört“, sagt er. „Wegen solcher Läden bin ich nach Berlin gezogen, jetzt gibt’s das auch in Braunschweig, also bin ich wieder zurück gekommen.“ So einfach war das natürlich nicht: „Es gibt auch andere Gründe.“ Das Herz war nur einer davon.

Hinter der Theke berichtet André vom Konzert der Gruppe The Scr, das ein paar Tage zuvor im Café Riptide stattfand. „Das sind fünf junge Braunschweiger, die mit Elektronik improvisieren und zu Bildpräsentationen jammen.“ Vor dem Konzert kam Horst Janson ins Café und trank einen Kaffee. „Der hat gerade ein Gastspiel in der Komödie am Altstadtmarkt“, sagt André. Als Janson bezahlen wollte, stellte er fest, dass er kein Geld dabei hatte. „Da hab ich ihm gesagt: Du hast mich mit der Sesamstraße durch die Kindheit gebracht, den schenke ich dir als Dank“, grinst André. „Beim Konzert abends winkt eine Hand mit einem Fünf-Euro-Schein durch die Menge – Horst Janson wollte seinen Kaffee bezahlen.“

Eine für einen Plattenladen eigenartige Diskussion entspinnt sich zwischen André und Olli M. über den Film „Sweeney Todd“: „Zu viel Gesinge“, sind sie sich einig. So etwas gehöre nicht in Filme. Viel interessanter sind für André der neue Film der Coen-Brüder, „No Country For Old Men“, und der neue Film von Michel Gondry, der, in dem Jack Black und Mos Def in einer Videothek arbeiten und die ganzen Filme nachdrehen müssen, weil die Bänder plötzlich leer sind. „Be Kind Rewind“ heißt der im Original, auf Deutsch hat einen dämlichen Titel: „Abgedreht“. Film-DVDs kann man bei Chris und André allmählich auch bestellen. „Wir fangen damit aber gerade erst an“, sagt Chris.

Chris berichtet auch von der Band Lukestar aus Norwegen. „Wir machen eine Platte mit denen“, freut er sich. Wir, das ist das Label Riptide Recordings. „Der Gesang klingt wie von einer Frau, aber das ist ein Mann.“ Kennen gelernt hatte Chris die Band, als er mit der Gruppe 101 in England auf Tour war. Begeistert spielt Chris das aktuelle Album von Lukestar ab.

Zwei LPs legt Alex auf die Theke. Einmal „All Of A Sudden I Miss Everyone“, das neue Album von Explosions In The Sky. „Die machen ganz ruhige Musik mit Glocken und so“, erklärt er. Also wie Sigur Rós? „Ja“, bestätigt Kathy neben ihm, „die gibt’s aber schon länger, als Sigur Rós in Amerika Erfolg haben.“ Das zweite ist ein Dreifach-Album der Berliner Band The Ocean, „Fluxon/Aeolian“ mit netten Tiefseetieren auf dem Cover, silber auf schwarz gezeichnet. „Die neue LP von denen kommt demnächst“, kündigt Chris an. „Das Presswerk hatte Verzögerung.“ Alex kommt aus Salzgitter und studiert in Göttingen. „Und hängt in Braunschweig rum“, ergänzt Kathy grinsend. „Weil’s besser ist“, kommentiert Chris, ebenfalls grinsend. Das findet Alex aber auch: „Der letzte Plattenladen in Göttingen hat gerade erst zu gemacht.“

Tourmanager Olli W. legt eine durchsichtige Plastikkugel mit einer eingeschweißten Audiokassette darin auf die Theke, daneben einige Schächtelchen mit Pailletten, Sternen, kleinen Rosen und Herzen. „Ich will ein Mixtape machen und habe gedacht, es gäbe keine Tapes mehr“, sagt er. „Aber bei Mediamarkt ist alles noch voll damit.“ Das Tape soll für seine Freundin sein. „Für wen denn sonst!“, schmunzelt Chris. Olli W. grinst: „Einem guten Freund presse ich eine LP!“ Mit welchem Song das Tape beginnen soll, weiß er auch schon: „Mit ‚Unverwundbar’ von Senore Matze Rossi, Lied Nummer 9 auf der aktuellen CD.“ Damit das Tape in der Kugel auch so lange unsichtbar bleibt, bis seine Freundin sie öffnet, muss aber noch mehr Kleinkram mit dazu kommen. Ein Problem hat Olli W. dann aber: „Wie kriege ich die Kugel so voll wie möglich?“ Die Antwort hat er auch: Er füllt die beiden Hälften bis zum Rand, deckt je eine Folie drüber, fügt beides zusammen und zieht die Folien langsam zwischen den Hälften heraus. „Dann sieht man das Tape auch nicht.“ Es wird dann aber lustig, wenn seine Freundin die Kugel öffnet.

„Die Hermann-Brause steigt in der Gunst der Gäste“, erzählt André. Melone-Limette und Apfel-Kirsch zum Beispiel schmecken zwar extrem künstlich, aber super. Wie früher. Die Hermann-Kola ist auch gut. „Der Unterschied zwischen Fritz-Kola und Hermann-Kola ist, dass Fritz-Kola mit einem Hauch Zitrone versetzt ist und Hermann-Kola mit einem Hauch Limette“, weiß André.

Seit einiger Zeit hängen einige Neuveröffentlichen der nächsten Wochen auszugsweise aus, direkt neben der Theke, über den Buttons. Tim guckt gleich neugierig darauf. Seine beiden Such-Veröffentlichungen sind nicht dabei: „Die ‚Nil Recurring EP’ von Porcupine Tree und das neue Album von RPWL.“ Die sind natürlich trotzdem bestellbar. „Porcupine Tree sind Dream Theatre in gut“, grinst Tim. Die völlig verschachtelten Sachen mag er nicht. „Über Pink Floyd bin ich an progressive Musik geraten“, erzählt er. Ein Onkel habe ihm einige LPs geschenkt. „LPs habe ich lieber als Downloads.“ Beim Blick in den Kühlschrank hinter André entdeckt Tim Tofu-Currywurst. „Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt“, lacht er. „Habt ihr überhaupt Fleisch im Angebot?“ André wehrt ab: „Wir sind eingefleischte Vegetarier.“

Ilka und Mathilda sind auch wieder da. „Mathilda hat morgen eine OP, am Auge“, sagt Mathildas Mutter Ilka. „Nix Schlimmes.“ Aufgeregt ist sie trotzdem: „Deshalb bin ich hier, zur Beruhigung!“

Am Sonntag findet das Kraftwerk-Frühstück im Café Riptide statt. Direkt danach bleibt der Laden für zwei Tage dicht. „Montag und Dienstag machen wir Inventur und nötige Umbaumaßnahmen“, erläutert André. „Wir hängen zum Beispiel den Kronleuchter im Café ein bisschen tiefer.“ Ab Mittwoch geht’s dann wieder ganz normal weiter. Dann sitzen vielleicht noch mehr Leute draußen, ist dann ja schon März.

van Bauseneick
www.krautnick.de

1 Kommentare

  1. Freu mich schon auf dem Frühling! Das wird ganz groß, bei euch in der passage schön draußen sitzen zu können!!

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