Samstag, 19. Oktober 2016
Dieses Mal gibt es eine Besonderheit: Ein Interview mit Beate und Clemens über die Reihe Sound On Screen beim anstehenden Braunschweig International Film Festival, kurz BIFF, halbkurz Filmfest. Das führten wir für Kult-Tour Der Stadtblog natürlich im Café Riptide:
Das 30. Filmfest (7. bis 13. November) hat ein so üppiges Programm wie noch nie. Eine Besonderheit dieses traditionsreichen Festivals ist die ganzjährig laufende Reihe Sound On Screen, die das Universum-Kino mit dem Schallplattenladen und Café Riptide veranstaltet: Zum dritten Mal ist sie ins Programm integriert. Beate Siegmann und Clemens Williges vom SOS-Team berichten Kult-Tour über prominente Ehrengäste, Deutschlandpremieren, Bonus-Tracks und Partys der anstehenden SOS-im-Filmfest-Ausgabe – natürlich passend im Café Riptide.
Das Filmfest heißt eigentlich schon seit einiger Zeit BIFF, Braunschweig International Film Festival; es trägt also einen Namen, der der Internationalität im Namen Rechnung trägt. Der Gast bleibt indes dabei, vom „Filmfest“ zu sprechen, und die Organisatoren halten es selbst ebenso. Mit Sound On Screen schufen Beate Siegmann und Torsten Straube vor sechs Jahren eine eigene Reihe, in der monatlich ein Musikfilm im Universum-Kino läuft und in dessen Anschluss eine Party, ein Konzert oder eine Kulturveranstaltung im Café Riptide stattfinden. Zu dieser Geschichte später mehr – beginnen wir mit dem Programm, das Sound On Screen zum 30. Filmfest beisteuert.
Beate gibt einen Überblick: „Wie bei den anderen beiden Malen gibt es zwei Unterprogramme: Die Spotlights, in denen aktuelle Musikfilm-Highlights aller Genres zu sehen sind, und ein Special-Thema, dieses Mal ‚The Sound Of Northern England‘, über die Städte Liverpool, Manchester und Sheffield.“ Je fünf Filme pro Unterprogramm sind geplant – und ein Bonus-Track.
Unter den fünf Spotlights finden sich gleich zwei Deutschlandpremieren. „Premieren auf Festivals sorgen auch überregional für höhere Aufmerksamkeit“, freut sich Beate. Clemens ergänzt: „Das ist ein Vertrauensbeweis der Produzenten und Verleiher und macht deutlich, welches Renommee Sound On Screen und das Filmfest haben.“ Eine dieser Premieren ist „The Man From Mo’Wax“, zu dem Regisseur Matthew Jones extra aus London anreist, eben weil es sich um die Deutschlandpremiere handelt. „Es geht um Mo’Wax-Labelgründer James Lavelle, der mit DJ Shadow den Trip Hop etabliert hat“, erläutert Beate.
Eine grundsätzliche Anregung wirft Beate ein: „Es lohnt sich immer, auch Filme zu gucken, bei denen man die Bands nicht kennt – es ist spannend, auch von den Personen her, das ging mir so bei ‚We Are X‘.“ Dabei handelt es sich um den Film über die japanische Band X Japan, die hierzulande niemand kennt, die in ihrer Heimat aber Superstars sind. „Die gehen bis an ihre körperlichen Grenzen, sind superschrill, und Bowie und Kiss sind ihre Idole“, so Beate. Von Regisseur Stephen Kijak liefen bereits drei Filme im normalen Sound-On-Screen-Programm: „Stones In Exile“, „Scott Walker: 30 Century Man“ und „Jaco“. Beate: „Unterschiedliche Musiker, großartige Filme, und keiner hatte einen deutschen Kinostart.“
Die zweite Deutschlandpremiere unter den Spotlights ist „Los Punks: We Are All We Have“, „über die sehr lebendige junge Punkszene in Los Angeles“, so Beate. Zuletzt finden sich zwei Publikumslieblinge anderer Festivals im Programm: „Breaking A Monster“ über die Kinder-Metal-Band Unlocking The Truth aus New York sowie „Mavis!“ über die Soul- und Gospel-Sängerin Mavis Staples. „Alle fünf Filme sind etwas Besonderes, ich würde sie am liebsten auf großer Leinwand sehen“, sagt Beate. „Aber das werde ich leider nicht schaffen.“ Denn dafür hat sie im Rahmen des Festivals einfach viel zu viel zu tun.
Das zweite Standbein sind die Specials. „Dafür wechseln wir vom Universum in den Roten Saal“, so Clemens. „Dort haben wir die Möglichkeit, das Rundumprogramm eigenständiger zu gestalten.“ Dazu gehören etwa englische Süßigkeiten und Popcorn, schließlich geht es um den „Sound Of Northern England“. Ausgangspunkt dafür, so Clemens, war die Tatsache, dass die Band In The Nursery bereits dreimal am Filmfest beteiligt war, zuletzt 2001, und zur runden Ausgabe des Filmfests wollte das Team die Gruppe wieder einladen. Schließlich kommen In The Nursery aus Sheffield, einer der drei Städte dieses Specials. Doch zur Band später mehr, zunächst geht es um die fünf Special-Filme, unter denen sich gleich drei Deutschlandpremieren finden, und zwar jeweils aus Sheffield, Manchester und Liverpool einer.
Bei „Get Back“ geht es um die Musikszene Liverpools ohne die Beatles, wie Clemens süffisant bemerkt. „Es wird deutlich, wie sehr die Musiker schon vor ihrer Zeit als Beatles den Merseybeat aktiv geprägt haben.“ Die Premiere aus Sheffield heißt „The Beat Is The Law: Fanfare For The Common People“ und dreht sich um die Band Pulp. „Im Film berichten die Mitglieder über ihre Anfänge in den Achtzigern in Arbeiterclubs und das Glastonbury-Festival von 1995, auf dem sie als Headliner zu Britpop-Ikonen wurden“, so Clemens. Dort seien sie in letzter Minute als Ersatz für die Stone Roses aus Manchester gebucht worden, um die sich die dritte Premiere dreht: „The Stone Roses: Made Of Stone“. Clemens: „Das sind die tragischen Figuren des Britpop – sie haben ihn als erste umgesetzt 1989, 1990, aber die Früchte haben andere Bands geerntet.“ Der Film handelt von der zweiten Reunion der Band 2011, nach 15 Jahren Trennung. Neben diesen drei Kern-Filmen läuft als weiterer Beitrag aus Liverpool „Good Ol‘ Freda“, der das Thema Beatles aus einer anderen Perspektive einfängt, nämlich aus Sicht eines Fans, der für elf Jahre zur Sekretärin der Gruppe wird: jene Freda aus dem Titel.
Der fünfte Beitrag der Specials hängt mit mindestens einer anderen Veranstaltung zusammen: dem englischen Frühstück mit der Lesung aus dem Buch „The Sound Of The Cities“ von und mit Ole Löding und Philipp Krohn am 12. November ab 11 Uhr im Abspann, der Bar im Universum-Kino. Beide Autoren gehören nämlich zu den Kuratoren jenes fünften Specials, der Clipshow „A Sound Lecture On Three Cities“. Der dritte Kurator ist – und da schließt sich ein Kreis zu In The Nursery – Musiker Nigel Humberstone. Das ist selbst für Sound On Screen eine große Ansammlung an Premieren: Erstmals eine von Gästen zusammengestellte Clipsammlung und erstmals eine Clipsammlung bei Sound On Screen im Filmfest. Im Juni gab es bereits das David-Bowie-Special im regulären Programm der Reihe: „Das war eine Supersache“, fand Beate, und das wollten sie wieder ausprobieren. Eines haben die beiden dabei gelernt: Das Einholen der Vorführrechte für die Clipshow war aufwändiger als gedacht. „Wir werden nächstes Mal früher anfangen“, sagt Beate. „Wir sind ein Stück schlauer.“
Die beiden kuratierenden Journalisten nun lesen nach dem Frühstück aus ihrem Buch „The Sound Of The Cities“, für das sie musikhistorisch relevante Städte in aller Welt bereist haben, mit dem Wissen, damit natürlich nicht vollständig sein zu können. Fürs Filmfest legen sie ihren Schwerpunkt selbstverständlich auf die nordenglischen Städte Liverpool und Manchester und geben Audiobeispiele dazu. Eingebunden in die Veranstaltung sind das Café Riptide und der Laden Simply British, der auch für die Süßigkeiten im Roten Saal sorgt.
Jetzt nähert sich allmählich der Bonus-Track: Clipshow-Co-Kurator Nigel Humberstone nämlich ist seit 2008 der Musikdirektor des Sensoria-Festivals in Sheffield, benannt nach einer Single von Cabaret Voltaire. So kam es zur Kooperation mit dem Filmfest. Außerdem betreibt er mit seinem Zwillingsbruder Klive seit 1981 das Projekt In The Nursery, mit dem er seit 1996 klassische Stummfilme vertont – und das jetzt nach 15 Jahren auch wieder in Braunschweig. Am Sonntag ab 20.15 Uhr untermalen sie in der Bartholomäuskirche den französischen Film „The Fall Of The House Of Usher“, und um die Komplikationen noch komplizierter zu machen, ist dies nicht nur der elfte von zehn Filmen vom Sound On Screen beim Filmfest, sondern auch ein Beitrag des Programms „Poe At Midnight“, mit dem die Musikfilmreihe erstmals zusammenarbeitet. „Ein Konzert war etwas, das wir schon immer gern mal gemacht hätten“, sagt Beate. Einmal tritt Nigel noch in Erscheinung: Als Freund der Regisseurin Eve Wood und Kenner der Szene steht er nach dem Pulp-Film „The Beat Is The Law“ für eine Gesprächsrunde zur Verfügung. „Songs von In The Nursery kommen auch in der Doku vor“, sagt Clemens. „Und im Clipprogramm läuft ein Film, bei dem Klive Regie geführt hat.“
Aber es gibt ja noch einen weiteren musikalischen Programmpunkt: die Sound-On-Screen-Festival-Party im Riptide, wie in den beiden Jahren zuvor wieder am Donnerstag. Butch Cassidy legt auf, seine Musik wählt er passend zum Thema England aus.
Dieser immense Aufwand ist zu zweit nicht zu stemmen, deshalb ist die Sound-On-Screen-Gruppe beim Filmfest deutlich erweitert. Torsten Straube und Beate Siegmann bilden mit dem Riptide das Kernteam, fürs Festival sind Clemens Williges, Philipp Preuß, Daniela Heinicke und Ina Gereke noch dabei. Ein Grund dafür ist der Aufwand im Vorfeld: Es galt, rund 50 Filme zu sichten, denn für das Programm betrieb das Team nicht nur wie gewohnt selbst Recherche, sondern setzte sich zusätzlich mit eingereichten Beiträgen auseinander, was bei der regulären Reihe wegfällt. Dazu kommen noch einmal so viele Kurzfilme und Clips. Involviert ist das größere Team auch bei den Ansagen zu den zehn Filmen und bei der Gästebetreuung: „Das ist zu zweit nicht zu schaffen und macht so noch mehr Spaß, Sound On Screen ist beim Filmfest noch intensiver“, schwärmt Beate. „Das ist eine tolle Gruppe, alle haben eine enge Bindung zur Musik.“ Clemens bestätigt: „Alle Gruppenmitglieder haben ein breit gefächertes Wissen, aber jeder hat seinen Schwerpunkt.“
Der Schritt von der Reihe außerhalb des Festivals ins Festival war gar nicht so groß. Beate: „Das Filmfest hat selbst länger schon den Schwerpunkt Film und Musik, da geht es dann aber eher um Filmmusik.“ Gemeint ist die Reihe „Musik und Film“, erläutert Clemens: „Die ist 2001 gestartet mit dem Schwerpunkt ‚Ohm Sweet Ohm‘, entwickelte sich über die Jahre aber zu einer Komponisten-Retrospektive mit klassischem Scoring.“ Beate und Torsten hatten dann die Idee, zusätzlich Pop- und Rock-Musik im Filmfest zu etablieren. Doch vor sechs Jahren schien die Anzahl der Musikdokumentationen für eine eigene Reihe beim Festival nicht auszureichen, zudem bot sich das neu eröffnete Universum-Kino als Plattform für die SOS-Reihe an. Mit dem dem erheblichen Zuwachs an Musikdokumentationen der jüngeren Zeit gibt es nun genügend Material für die ganzjährige Reihe und ein zusätzliches Sonderprogramm beim Festival. Auch baut das Filmfest den Festivalschwerpunkt „Film und Musik“ kontinuierlich aus und integriert Sound On Screen daher sehr gern, und das selbstverständlich unter dem etablierten Namen. Beim Filmfest hat Sound On Screen auch mehr Möglichkeiten, Gäste einzuladen, es gibt es besseres Budget und die Chance, einen Schwerpunkt oder ein Special genauer auszuleuchten und erschöpfend auszuarbeiten“, erläutert Clemens.
Nun aber zum Ursprung von Sound On Screen an sich. Los ging es im September 2010 mit der Doku „When You’re Strange“ über The Doors. Beate: „Wir hatten die Idee, Musikfilme zu zeigen, die man sonst in Braunschweig nicht sehen würde.“ Das Riptide organisiert das Aftershow-Programm mit Clubkonzerten, DJ-Partys und Lesungen, bei denen sich die Kinogänger treffen. Von Sound On Screen gibt es pro Jahr drei Staffeln mit jeweils drei Filmen, also einem pro Monat plus Sommerpause, und zusätzlich Sondervorstellungen, meistens in den Freien. Rund 60 Filme sind also in dieser Reihe bereits gelaufen, abseits von den Filmfest-Beiträgen, und, so betont es Clemens, ungefähr die Hälfte davon hatte keinen deutschen Kinoverleih. Nach dem Filmfest läuft noch der dritte Film der Herbststaffel, „Lo Sound Desert“ über die Wüstenrockszene in Kalifornien, am 24. November ab 19 Uhr. Im Dezember geht es dann passend zum „Sound Of Northern England“ weiter mit der neuen Oasis-Doku „Supersonic“. Clemens grinst: „Mit dem ehemaligen Roadie der Stone Roses – das war der ältere der Gallagher-Brüder.“ Im Riptide läuft danach eine Party mit einem DJ, der schon mit den Gallaghers aufgelegt hat.
Zu den Personen:
Clemens Williges ist seit 21 Jahren ehrenamtlich beim Filmfest involviert. 2001 hob er den Schwerpunkt „Musik & Film“ aus der Taufe, mit der Reihe „Ohm Sweet Ohm“. Bei Sound On Screen macht er mit, weil ihm elektronische Musik am Herzen liegt. Darüber hinaus engagiert er sich im Rahmen des Filmfestes für das Genrekino.
Beate Siegmann ist seit 2000 beim Filmfest, anfangs und immer noch beim Heinrich-Wettbewerb, ihrer Hauptreihe neben Sound On Screen. Auch beim „Neuen Internationalen Kino“ ist sie von der Partie. Beate: „Es macht mir Spaß, mit so vielen unterschiedlichen Leuten so ein Festival auf die Beine zu stellen.“
Matze van Bauseneick
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