Freitag, 25. November 2016
Als Uwe seinen nächsten Song startet, erinnert mich die Akkordfolge an „Wicked Game“. Nicht nur mich. Uwes Co-DJ Markus locken die Töne zurück von der Theke ans Plattenunterhalterpult, er beugt sich zu ihm: „Chris Isaak, schön – und das ist Rocko Schamoni?“ Uwe bestätigt. Und überrascht mit der Antwort auch mich: Das ist also Musik von Rocko Schamoni! „Wicked Game“ geschickt neu umgesetzt, und zwar zu einem Cover eines noch ganz anderen Stückes, „Was kostet die Welt“ von F.S.K. nämlich, auf Rockos noch jungem Cover-Album „Die Vergessenen“. Bei Schamoni wisse man nie, was man bekomme, findet Markus: Entweder richtig gut oder sehr schlecht. Das hier sei richtig gut. Finde ich auch. Live gesehen habe ich Schamoni solo noch nie, lediglich im Rahmen von Studio Braun, und Markus schwärmt sofort von einem kurz zurückliegenden Fraktus-Konzert: jeder Song eine Besonderheit. Das neue Album des Studio-Braun-Projektes kenne ich noch nicht, mag aber den zum Raumschiff umfunktionierten Fahrradhelm auf dem Cover mag ich schon mal.
Ein schöner Start für mich in die Neuausgabe des „Fanclub Soundsystem“ im Café Riptide. Eben noch waren Ada und ich auf dem Weihnachtsmarkt zum Glühmettrinken (mit einem T mehr verändert sich der Sinn gleich zum angenehm Unsinnhaften) und anschließend auf Zwischenstation in Serges Antiquariat neben dem Riptide, wo ihr als erstes der dicke Wälzer „Ada“ von Vladimir Nabokov ins Auge sprang. Jetzt begrüßen wir Uwe und Markus an ihrem neuen Arbeitsplatz im Riptide. „Anderthalb Jahre lang haben wir das in der Haifischbar gemacht, einmal im Monat“, erklärt mir Uwe. „Wir hatten vielleicht ein, zwei Aussetzer in den Sommermonaten.“ Das ist inzwischen auch seit einiger Zeit vorbei, ich lernte Uwe erst danach überhaupt kennen. Längst sind wir beide Mitglieder der DJ-Gruppe Rille Elf und legen zusammen beim „Tanztee“ im Tegtmeyer und beim „Ball im Bierhaus“ in Harrys Bierhaus auf. Und wo wir halt sonst noch die freundliche Aufforderung zur Beschallung bekommen, wie demnächst auf einer privaten „Verlobunxfeier“, in deren Rahmen der Gastgeber hofft, eine Freundin zu finden. Ein unterstützenswertes Vorhaben, finden wir.
Ada bringt ein Tablett mit Tee und Kaffee ans DJ-Pult, der Kaffe ist freundlicherweise für mich, der Tee für sie selbst. Uwe und Markus tauschen die Plätze, ich frage Uwe nach der Intention zum „Fanclub Soundsystem“. „Die Idee war“, hebt er an. „Was war die Idee – dass wir dachten – was dachten wir denn…“ Ich mag Uwes Humor. „Dass wir in der Kneipe die Musik hören wollten, die wir auch zu Hause hören“, bringt er seinen Satz zum Abschluss. „Es gibt keine Bindung, jeder kann auflegen, was er will“, ergänzt er. „Außer Genesis.“
Als ich von der Reihe erstmals höre, dachte ich, es handele sich um einen reinen Soul-Abend. Doch Uwe, der eigentlich tatsächlich Soul als eines von vielen Spezialgebieten hat, verneint: „Soul-Abende sind es nicht, wir spielen Funk, Soul, Electro, Punk – bunt durch die Reihe gemischt.“ Die Soul-Abende in Braunschweig seien Wopi und Heiko vorbehalten, sagt Uwe. Die kenne ich beide nicht. Und wie kam es zum Zusammenschluss mit Markus? „Wir sind seit über 30 Jahren Freunde“, sagt Uwe. Und nach der Partypause nun der Neustart hier? „Das Riptide hat sich angeboten, das wollten wir mal hier machen“, erklärt Uwe. Ob die beiden den monatlichen Turnus wieder aufnehmen, steht noch nicht fest. Da müssen wir uns gedulden, wie die Resonanz auf allen Seiten aussieht.
Zum Beispiel bei den Riptide-Chefs. André ist heute Abend im Einsatz. Im Vorbeigehen betätigt er die Nebelmaschine am DJ-Pult und kommt dann zur Begrüßung zu Ada und mir. Seine Resonanz zum „Fanclub Soundsystem“ im Riptide kann euphorischer kaum sein: „Na geil, Mensch, hat ein bisschen gedauert, mit Kusshand waren wir hinter ihnen her, haben sie mit ein paar Cappuccinos überzeugt“, sprudelt er mit güldenem Strahlen. André selbst war jetzt eine Weile nicht im Riptide, „was habe ich verpasst?“ Das Filmfest, mindestens. Daran war das Riptide unter anderem mit der „Sound On Screen“-Party beteiligt. Eine Veranstaltung des Filmfests besuchte André aber doch: Die Live-Untermalung des Stummfilms „The Fall Of The House Of Usher“ durch die Band In The Nursery im Rahmen der Filmfest-Reihe „Poe At Midnight“ in der Bartholomäuskirche. Zwar war ich nicht dabei, weil das parallel zu unserem Filmfest-„Tanztee“ startete, doch hörte ich davon, dass es kalt war und dass viele Leute entspannt eingeschlafen seien. André grinst: „Man musste sich entscheiden: auf den Film konzentrieren oder auf die Musik, ich habe mich für die Musik entschieden.“ Die habe er hingebungsvoll mit geschlossenen Augen verfolgt. So muss es also zu dem irreführenden Eindruck gekommen sein, das Publikum sei eingeschlafen.
Mein persönlicher alljährlicher Filmfest-Höhepunkt trat auch dieses Mal wieder ein: Auf dem Sitzplatz neben mir öffnete Elke ihre Thermoskanne und goss sich Tee ein. Das sehe ich als Symbol dafür, dass es viele Leute gibt, die sich für das Filmfest Urlaub nehmen und einen gespielt herablassend ansehen, wenn man nicht wie sie schon vier Filme gesehen hat – an nur einem Tag. Sie zelebrieren das Filmfest intensivst und gönnen sich ihre Verpflegungspausen zwangsweise mitten im Film. Inklusive Brotbox oder in Butterbrotpapier gewickelten Stullen. Oder eben mit Thermoskannen.
Gleich tauscht Uwe wieder den Platz mit Markus. Schnell erzählt er mir noch eine Geschichte von einem Konzertbesuch in Hamburg, der beinahe lediglich ein Konzertversuch geworden wäre: „Beginn 19 Uhr stand drauf“, sagt Uwe. „Na ja, man weiß ja, wie das ist.“ Also nahmen er und sein fahrender Begleiter die Angabe recht ungenau, bis Uwe kurz vor den Toren Hamburgs mal auf seinem Mobiltelefon genauer nachsah und feststellte, dass dort für 22 Uhr bereits das nächste Konzert angesetzt war: „Drück auf die Tube“, rief er dem Fahrer zu. „Um halb acht kamen wir an, da hatten die schon angefangen.“ Im Molotow war das. Dort war ich seit dem Umzug noch nicht wieder, zuletzt sah ich noch unter der alten Adresse !!!. Ich las etwas darüber, dass sich das neue Molotow auf drei Etagen erstreckt und man bei einmaligem Eintritt den Zugang zu allen Etagen habe. Das kann Uwe zwar nicht bestätigen, die Lokalitätsbeschreibung aber schon.
DJ-Tausch. Das Pult ist dort aufgebaut, wo ansonsten der T-Shirt-Ständer vor den Reinhörplattenspielern im Weg steht. Die Sofaecke auf der anderen Seite des Cafés eignet sich bei dieser Gelegenheit extravortrefflich dazu, sich mit Leuten zu treffen, sich zu unterhalten, Getränke zu sich zu nehmen und mit dem Kopf zu nicken, wo das Fußwippen nicht ausreicht und die Motivation zum Tanzen noch zu gering ist. Die Kunst über den Sofas und die illuminierte Spiegelkugel vertiefen die Gemütlichkeit des Ortes.
„Über dich haben wir gestern geredet“, sagt Markus zu mir, als er hinter dem Pult hervorkommt. Das erstaunt mich, schließlich lerne ich ihn doch erst jetzt in diesem Moment überhaupt kennen. Mit wem also…? „Ich wohne im selben Haus wie Schepper“, löst er auf. Unglaublich. Braunschweig. Die Stadt ist eine Erbse und so. Markus bedauert es, Scheppers Musik noch nicht gehört zu haben, und will einen Tauschdienst mit ihm anregen und ihm im Gegenzug seine Lieblingsbands Talk Talk und The Notwist empfehlen. Darin stimme ich mit ihm überein, ich liebe das letzte Talk-Talk-Album „The Laughing Stock“. Markus rät mir, mich intensiv mit dem neuen Live-Album „Superheroes, Ghostvillains And Stuff“ von The Notwist zu befassen. Da muss er nicht viel Überredungskunst aufbringen, das habe ich ohnehin vor; die Dreifach-LP gibt es auch hier im Riptide, ich muss nur endlich mal zuschlagen. Aber die Auswahl ist so groß hier.
Damit plagt sich auch Ada herum: „Ich habe ein Riesenproblem“, sagt sie, und während ich noch Schlimmes fürchte, fügt sie hinzu: „Da hängt eine ‚Lost Highway‘, da hängt eine Björk, da hängt eine, wo ich das Cover gut finde – ich kann mich nicht entscheiden.“ Nachvollziehbares Problem! Bei der LP mit dem ansehnlichen Cover handelt es sich um „Gore“ von den Deftones, und als ich ihr erzähle, dass es sich dabei um NuMetal für herausgewachsene Teenager handelt, bleiben ihr immerhin noch zwei reizvolle Alben zur Auswahl.
Und dabei fällt mir ein, dass ich hier ja auch noch eine Bestellung offen habe. Vergangene Woche orderte ich das neue Automat-Album „Ostwest“ bei Chris und vereinbarte mit ihm, dass ich sie beim „Fanclub Soundsystem“ mitnehme. Doch weder Kamila und Max, die heute Thekendienst haben, noch André finden sie: Ist wohl doch noch nicht mitgekommen. Dann habe ich eben einen weiteren Grund, mal wieder ins Riptide zu kommen.
Markus und Uwe, das kommt beim folgenden Gespräch mit Markus heraus, haben dieselbe Intention für den Fanclub, die sich nach seiner Ausführung in ebenjenem Namen niederschlägt: „Hintergrund ist, dass wir die Fans von etwas sind.“ Und genau das wollen sie teilen: „Die Idee ist, dass wir spielen, was wir mögen.“ Damit wiederholt er nahezu wortgenau Uwes Erläuterung. Dieses Team hat sich definitiv mit einer gemeinsamen Basis gefunden. Blindes Vertrauen. Alles außer Genesis. Also „Musik für das Kaff der Guten Hoffnung“, wie es auf dem Flyer für diese Show steht. Wahre Worte!
Matze van Bauseneick
www.krautnick.de
Fakebook