#212 Kreisch!

Donnerstag, 8. Mai 2025

Was für ein Einstieg in den Mai: hellstmögliche Sonne, Wärme wie vor 40 Jahren im Hochsommer, überall üppig blühende Kastanien und als Gruß an den Sommer die Rückkehr der Mauersegler. Nicht der Schwalben, wie Uwe mich dereinst aufklärte: Die sind in ländlichen Gegenden beheimatet, in Riddagshausen etwa zwitschern sie schon seit einigen Wochen wieder, wohingegen sich die Mauersegler in urbanen Gefilden tummeln. Anders als die Schwalben setzen sich Mauersegler auch nie irgendwo hin, die cruisen permanent, wenn sie nicht im Nest verschwinden. Und schreien dabei lauthals, weshalb Andrea und ich sie nur Kreischis nennen, Mauersegler ist einfach vergleichsweise unkomfortabel auszusprechen, und schließlich heißen ja auch andere Vögel wie ihr Ruf, wie Zilpzalp oder Kuckuck, zum selbigen. Für mich jedenfalls ist die Rückkehr der Mauersegler jeden Frühling ein Fest, das mit den ersten Erdbeeren, dem ersten Spargel und dem ersten Mai-Urbock in einen Zeitraum fällt. Im August düsen sie wieder gruß-, sang- und klanglos davon, was einem ja nur durch die Abwesenheit des Kreischens auffällt, und bis dahin will ich jenes genießen, so oft es geht.

Über dem Platz am FBZ zogen die Mauersegler ebenfalls ihre Kreise. Zum zweiten Mal in Folge fand das DGB-Fest zum 1. Mai nicht rund um den namenlosen Teich im Kiryat-Tiv‘on-Park statt, sondern etwas versetzt vor der Volkswagen-Halle. Obschon mich der Teich nie störte, fällt seine Abwesenheit positiv auf – die Fläche ist freier, die budenaufstellenden Festteilnehmer sind besser erreichbar, man hat mehr Möglichkeiten, auf der Weise zu lümmeln und Leute zu treffen. Da das Riptide am Feiertag geschlossen war, beschlossen wir vom MokkaBär-Stammtisch kurzerhand, unser Treffen auf das DGB-Fest zu verlegen, und das gelang und dann sogar punktgenau ohne konkrete Absprache – aus drei Richtungen kommend, liefen wir uns mitten auf dem Platz zufällig über den Weg. Wie überhaupt alljährlich zahllosen Menschen, die Menge der herzlichen Zusammenkünfte ist exorbitant hoch. Zucchini-Puffer vom Philippinischen Freundeskreis und Kochbananen vom Haitianischen Kulturverein sind weitere Standards für mich. Die gibt’s dann Ende des Monats wieder bei Braunschweig International auf dem Kohlmarkt, wie ich hoffe. Ah, das Internet nennt den 23. August als Termin für dieses Jahr, also ein Vierteljahr später als üblich, warum auch immer.

Bevor ich heute den Magnikirchplatz ansteuere, biege ich in der Schloßstraße 8 ins Schmuckatelier Matrix ein. Das Gebäude allein ist immer ein Hingucker, mit der konkaven Eingangsecke und den Rundbögen über den Schaufenstern. Hinter dem Eingang links sitzen Ralf und Michael an einem Werktisch, umringt von Werkzeugen, deren Namen ich vermutlich nie gehört habe, und bearbeiten Schmuckstücke. Ralf wendet sich mir zu und wechselt mit mir an einen Beraterplatz. Er ist als Partner von Chefin Gülşen mit ins Geschäft eingestiegen, erzählt er. „Matrix gibt’s schon recht lange hier“, fährt er fort, die ersten fünf Jahre in der Langedammstraße, seit 19 Jahren am gegenwärtigen Standort. „Matrix ist eine Goldschmiede, wir machen zu 90 Prozent alles selbst“, erklärt er. Ein Schwerpunkt ist, dass das Team hier Gold recycelt, „die Kunden können etwas anliefern und wir machen etwas Neues daraus“. Zumeist setzen die Goldschmiede eigene Entwürfe um, und wenn es sich machen lässt, auch solche der Kunden; Trauringumgestaltung ist dabei ein Schwerpunkt geworden, sagt Ralf, „das ist spannend“.

Ralf lehnt sich zurück und strahlt: „Das Viertel ist toll“, ruft er aus. „Traditionelle Kneipen, gute Küche“; zählt er auf, und stellt fest: „Und es wird immer besser!“ Viele der umliegenden Gastronomieeinrichtungen seien schon „so lang hier wie der Laden hier“, bemerkt er und erinnert sich: „Früher gab es hier sogar Modenschauen auf dem Platz.“ Davon habe ich tatsächlich auch schon gehört.

Das Atelier Matrix betreiben Gülşen, Ralf und Michael zu dritt. „Es waren auch schon mehr“, erzählt Ralf. „Ich bin mit der Chefin seit 16 Jahren liiert, ich habe meine Vermarktung anders aufgeteilt und bin erst seit November fest hier.“ Er ist nämlich beispielsweise regelmäßiger Gast der Kulturellen Landpartie im Wendland, wo er seine Schmuckstücke ausstellt, und ist nun quasi sesshaft geworden. Hier im Magniviertel hat das Atelier regen Zulauf: „Die Kunden kommen einfach, per Mund zu Mund, Qualität macht sich bezahlt“, freut sich Ralf. Und die Beratung vor Ort: „Im Gegensatz zum Juwelier, der nur handelt, können wir direkt umsetzen.“ Deshalb verlegte das Team die Werkstatt nach vorn, in den sichtbaren Bereich, „damit die Kunden das sehen“. Dieser interne Umzug „ist noch nicht ganz fertig“, aber bereits voll funktionstüchtig – wie man hört, denn Michaels Klöppeln, Klopfen und Klappern begleitet unser Gespräch. Zudem passe diese Situation, seiner Tätigkeit unter Beobachtung nachzugehen, zu seiner bisherigen Lebensweise: „Ich bin es gewohnt, auf Märkten zu arbeiten.“ Er zuckt mit den Schultern und nennt die Kulturelle Landpartie als Beispiel, die dauert zwölf Tage: „Sitzt du zwölf Tage rum, kannst du auch was machen.“

Zu Ralfs Aktivitäten gehören auch Seminare, die er anbietet, wahlweise an Wochenenden oder fortlaufend in der Woche. „Das wird hier sicher auch irgendwann aktiviert“, stellt er in Aussicht, „abends, dass man sich dazusetzen kann und was ausprobieren“, beispielsweise. Das Zuhause, an dem er seine Seminare abhält, liegt in Alfeld-Brunkensen, also satte 90 Kilometer von hier entfernt. „Wir machen die Kunst- und Kulturtage im Juni, die organisiere ich seit 28 Jahren“, erzählt Ralf und schwärmt: „Theater, Musik, Kinder und 40 Leute, die ausstellen“ seien inzwischen jedes Mal dabei. Dieses Jahr findet diese Veranstaltung am 21. und 22. Juni statt. Die Kunst- und Kulturtage seien weitgehend wetterunabhängig, denn er betreibt nebenbei noch eine Eventfirma, über die er Zeltdächer bereitstellt, was Händler und Besucher verlässlich wissen. Durch Alfeld bin ich mal durchgefahren, ich erinnere mich an ein Unesco-Welterbe-Gebäude. „Das Fagus-Werk, der erste Bau von Walter Gropius“, schießt es aus Ralf sofort begeistert heraus. Und ich weiß, dass das alte Autokennzeichen wieder aktiviert ist und heißt wie eine alte Fernsehserie. Ralf grinst: „ALF.“

Im neuen Riptide hier im Magniviertel war Ralf noch gar nicht, dafür aber im Handelsweg: „Meine Partnerin kennt die, wir waren auf einer Ausstellung in der Gasse, da hab ich das kennengelernt.“ Er findet es schön, sagt er, „und ich hab mich gefreut, dass sie hergekommen sind“. Denn „es zieht ein buntes Publikum, nicht nur junge Leute“. Plattenkäufe indes wären für ihn kein Grund, den Besuch am neuen Standort abzustatten: „Ich will meine eher verkaufen“, lacht er. Im Zuge der Digitalisierung verlor er nämlich das Interesse am Sammeln und freut sich über die Vorzüge des Streamings.

Kundschaft fesselt Ralfs Aufmerksamkeit, da lasse ich den Blick schweifen. Glasvitrinen sind auf gestapelten Betonplatten im Raume errichtet, Beton und Holz bestimmen die Dekoration, ein warmer Holzfußboden setzt einen warmen Akzent. Eine begehbare Galerie schirmt die Hälfte der Decke ab, oben befinden sich Büros, verrät Ralf, der sich nun wieder zu mir setzt. Das mit dem Beton ist keine junge Idee: „Von Anfang an hat sie das so gemacht“, berichtet er von Gülşens Dekokonzept, „simpel, einfach, zeitlos.“ Er deutet auf zwei Betonquader und grinst: „Verputzte Möbel.“

Mich ruft nun die Verabredung im Ritpdie und Ralf die Arbeit. Er setzt sich wieder Michael gegenüber, „unser ältester Meister“, sagt Ralf und setzt nach: „Wir können alle ausbilden!“ Wir verabschieden uns und ich steuere nun den Magnikirchplatz an. So richtig hab ich nicht erwartet, heute draußen sitzen zu können, so kühl, wie der Tag startete, doch steuere ich maifrischen Mutes die Außensitzfläche an – und entdecke dort Jakob, den ich ja aus dem alten Riptide im Handelsweg kenne, wo er als Schüler bereits seine Zeit verbrachte. Zuletzt begegnete ich ihm mal im Universum-Kino, als er mir von der Kasse aus ein Ticket aushändigte. Jetzt hat er eigentlich kaum Zeit, denn er ist als Mitglied im KonzertChor Braunschweig gleich im Friedenskonzert in der Magnikirche eingebunden: „Ich bin aufgestiegen“, erzählt er, und zwar ist die Dramaturgie inzwischen seine Aufgabe, was ihn mit Chorleiter Matze, dessen Sitzplatz an diesem Tisch eben noch verwaist ist, quasi in die Leitungsposition erhebt.

Während Dominik mir zusichert, mir einen Milchkaffee zu bringen, erzählt Jakob weiter: „Ich hab vor zehn Jahren angefangen zu singen, nach dem Abi, ich habe zwischenzeitig in Hildesheim studiert und bin gependelt, ich bin jetzt seit drei Jahren wieder in Braunschweig und wieder im Chor aktiv.“ Mit dem Chorleiter ist Jakob seit zehn Jahren befreundet, sagt er, und als die beiden vor einem Jahr in Barnabys Blues Bar saßen und auf die Magnikirche guckten, begann Matze von seiner Geschichte mit der Kirche zu erzählen, woraus die beiden die Idee entwickelten, dieses Jahr anlässlich des 80. Jahrestages des Kriegsendes ein Friedenskonzert am 8. Mai auf die Beine zu stellen. „Die Magnikirche hat wie kaum eine andere Kirche in Deutschland ihre Zerstörung dokumentiert“, erläutert Jakob und setzt fort: „Es kamen immer mehr Ideen dazu, und wir begannen, die Ideen weiter auszuarbeiten.“

Nun setzt sich Matze zu uns an den Tisch und Jakob freut sich, zwei Menschen namens Matthias einander vorzustellen. Beide mit zwei T, versichern wir uns, „und H“, betont Matze mir gegenüber lachend. Genau! Jakob setzt fort: „Für mich ist das quasi eine Bewerbungsarbeit für den Masterstudiengang Dramaturgie in Berlin.“ Das ist sein größter Wunsch. Ich erinnere ihn an die Szene im Universum, und Jakob erzählt, dass er auch an der Uni gearbeitet hatte, sich nun aber darauf konzentrieren will, seinen Bachelor abzuschließen und deshalb nebenbei nur noch den Posten im Universum innehat, „das ist ein toller Job“. Ich beklage mich auch im Namen von Micha, dass der neue Film von Paolo Sorrentino, „Parthenope“, dort nicht gezeigt wurde. Jakob schlägt vor, einen Verein „Genrekino Braunschweig“ zu gründen, der mit angenommenen 60 Mitgliedern dem Universum eine monatliche Mindestmenge an Zuschauern garantiert und damit versuchen könnte, Einfluss auf das Programm zu nehmen.

Musikalisch ist der Chor nicht das einzige Projekt, an dem Jakob beteiligt ist. So ist er noch Teil der Jazzband Sound Of Joy – The Music Of Sun Ra, von der ich schon so viel gehört habe: „Ich spiele Klavier.“ Wir staunen beide darüber, dass Sun-Ra-Arkestra-Chef Marshall Allen kürzlich im Alter von 100 Jahren sein Solo-Debüt veröffentlichte; ich habe „New Dawn“ und bin überrascht, wie zugänglich es ist. Das nächste Mal zum Einsatz kommt Jakob am 4. Juli im Roten Saal für die Jazzinitiative Braunschweig. Ein anderes Herzensprojekt ist seine Stoner-Rock-Band Temenggong, mit der er am 21. Mai im B58 für Tschaika 21/16 eröffnen darf. „Das ist ein Side-Projekt vom Gitarristen von Rotor“, erklärt Jakob. Dabei handelt es sich um eine Elektrohasch-Band, also eine, die auf jenem Label der Band Colour Haze veröffentlicht, „das wichtigste Stoner-Label im deutschsprachigen Raum“, so Jakob. Temenggong nun ist sein drittes Projekt, „wir machen Stoner als Power-Trio, volle Möhre Rock“. Er strahlt: „Wir dürfen den Support spielen – das ist eine Riesenehre, weil ich Rotor, seit ich 16 bin, verehre.“ Er schließt: „Da spiele ich Schlagzeug.“ Er steht also musikalisch auf drei Beinen: Gesang, Klavier und Schlagzeug. Krass.

Da schlendern Jörg und Lutz vom Kufa-Haus zwischen den Tischen herum, Jörg drückt mir den Flyer mit dem Programm in die Hand, den er mir schon einmal gab, nicht schlimm, ich reiche ihn gleich an Jakob weiter. „Ich hatte mit Jörg mal eine Session im Handelsweg“, berichtet Jakob, als das Kufa-Duo bereits am nächsten Tisch verweilt. Sie spielten spontan den „Bad News Blues“ von Lightnin‘ Hopkins zusammen. Braunschweig wieder. Jakob und Matze brauchen jetzt die Konzentration für sich, also verabschiede ich mich mit den besten Wüschen für das Gelingen heute Abend und setze mich einen Tisch weiter, an den langen, in Erwartung meiner Verabredungen, die noch immer nicht eingetroffen sind.

Am nächsten Nachbartisch hat Jörg inzwischen Platz genommen, der Tisch gehört bereits zu Barnabys Blues Bar. Er wartet auf Lutz, also sprechen wir über Gegenwart und Zukunft des Kufa-Hauses, über die WRG-Kulturtage am Wochenende 19. Und 20. Juli, an denen wir uns mit Rille Elf wieder in Harrys Bierhaus beteiligen und das Kufa-Haus vermutlich Betriebsferien einlegt, um dafür Ruhe zu finden, die neue Lage nach dem Umbruch zu sortieren. Jörg berichtet von dem Motorpsycho-Konzert, das er am Wochenende in Hannover sah, und wir schwärmen beide von deren Auftritt im Meier vor rund 20 Jahren. Im Gegenzug berichte ich von dem beseelenden Gig von Der Weg einer Freiheit im Jugendhaus Ost in Wolfsburg eine Woche davor; nebenbei: Spontan hatte ich hinterher einen mir fremden Zuschauer mit nach Braunschweig genommen, der als Dramaturg im Klassischen Fach arbeitet und bei deiner Death-Metal-Band Schlagzeug spielt – das mit Jakob ist quasi ein Déjà-vu, fällt mir jetzt auf. Ideen reifen jedenfalls in Jörg und mir, wer alles so künftig mal im Kufa-Haus spielen könnte.

Ute setzt sich zu mir, Lutz zerrt Jörg aus dem bequemen Sessel und allmählich trudeln auch die anderen ein, Stoni, Stefan und Henning. Wir sind uns alle einig, dass es nicht kalt genug ist, um uns nach drinnen zu vertreiben, und Dominik teilt uns mit, dass es auch eher schwierig wird, später den Platz ins Café zu verlegen, weil das bereits mit Reservierungen ausgebucht ist. Neidisch blicken wir auf die Sonnenplätze auf der anderen Straßenseite, wohl wissend, dass wir in wenigen Wochen über Schattenplätze dankbar sein werden. Über uns kreisen und kreischen die Mauersegler, um uns herum sammeln sich die Menschen: Der Zulauf zur Magnikirche ist imposant, die Schlange reicht bis an die Nachbartische, und während sich die Gäste Zug um Zug ins Sakralgebäude schieben, steht der KonzertChor noch tuschelnd am anderen Ende des Kirchplatzes und sammelt sich.

Ja, es wird zusehends kühler, und meine Runde löst sich auf. Dafür verzögert Chris seinen Feierabend, indem er den Platz mir gegenüber einnimmt. Er hat einen Stapel uralter Platten von Fredrik Vahle unter dem Arm: „Die Rübe“ etwa, „lustige und listige Kinderlieder“, die Vahle mit Christiane Knauf aufnahm, ebenso „Der Spatz“, „Der Fuchs“ sowie mit Meggi Sachs „Der Elefant“. Von Vahle kenne ich nur „Anne Kaffeekanne“, über den Enkel von Andrea, also erst seit kürzlich. Chris schwärmt besonders von dem Antifa-Lied „Ein Fisch namens Fasch“, das auf einem Text von Berthold Brecht basiert.

Den Enkel besuchten Andrea und ich über Ostern in Leipzig, und da ich zu dem Zeitpunkt gerade „Power von der Eastside“ las, das Buch über den DDR-Radiosender DT64, den Chris damals ebenfalls gern hörte, wie er mir erzählt, hatte ich den Plan, die beiden LPs „Parocktikum“ und „Kleeblatt No. 23 – Die anderen Bands“ zu suchen, die unter Beteiligung von Lutz Schramm von DT64 auf dem DDR-Staatslabel Amiga erschienen waren und mit der Staatsregel gebrochen hatten, Bands ohne Spielgenehmigung zu veröffentlichen, darunter Feeling B, bei denen Leute wie Flake ihre musikalischen Anfänge genommen hatten. Da Andrea und ich uns verwandtschaftsbedingt immer in Plagwitz aufhielten, wollten wir uns dieses Mal endlich in Connewitz umsehen, und steuerten die Bornaische Straße an. Dort musste ich den Strawberry Fields Recordstore unbedingt aufsuchen – und entdeckte dort die beiden gesuchten LPs als erst vor zwei Jahren wiederveröffentlichte Doppel-LP. Noch mehr DDR holten Andrea und ich uns daraufhin in der Eisdiele Pfeifer, die wir schon einmal beehrt hatten und die nach wie vor im DDR-Stil eingerichtet ist – zunächst aus Kostengründen, weil man nach der Wende nicht die Mittel zu Veränderungen hatte, und bald darauf aus Gründen der Ostalgie, weil sich da ein Stück Identität konserviert hatte. Die frische Waffel mit Walnusseis drauf schmeckte jedenfalls ausnehmend gut.

Chris und ich hörten beide DT64, weil wir unsere Kindheit und Jugend in der selben Gegend verbrachten: südliche Lüneburger Heide, er in Weißenberge in einem Ferienhaus, ich in Wesendorf, wo er wiederum kirchlich eingebunden war, allerdings beim anderen Verein als ich, weshalb wir uns wohl nie bewusst über den Weg gelaufen waren. Wir tauschen uns über Erinnerungen und Orte aus, den Heiligen Hain etwa, den er erst kürzlich seiner Freundin zeigte. Und dann hat’s uns eben in die „große Stadt“ gespült, jetzt sitzen wir in Braunschweig. Eine gute Wahl.

Den Record Store Day im Riptide verpasste ich leider ebenso wie den Tanz in den Mai, den Chris als DJ Butch Cassidy ausrichtete – an dem Tag feiert Micha immer seinen Geburtstag, indem er mit seiner Kino-Gruppe einen großen Film guckt. Da bin ich immer gern dabei, die Runde ist mir ausnehmend sympathisch, und dieses Mal waren wir im Filmpalast Wolfenbüttel und guckten „Thunderbolts*“ in 3D. Seit einigen Tagen sind nun die Pins für die Kulturnacht am 14. Juni im Riptide erhältlich. Für die Veranstaltung hatte ich Rille Elf ebenfalls beworben, jedoch eine Absage erhalten. Hab ich halt mehr Zeit für den Rest. Und Chris deutet auf die neue Tafel, die das Fenster mit der Aufschrift „There’s a crack in everything“ verdeckt, um Tagesgerichte anzupreisen. Um diese von hier aus zu entziffern, bin ich allerdings zu kurzsichtig.

Die Konzertbesucherschlange ist inzwischen komplett in der Magnikirche verschwunden. So viele abgestellte Fahrräder wie heute hat Chris noch nie auf dem Platz gesehen, stellt er fest. Auch der Wochenmarkt hat längst die Luken geschlossen und es wird mittlerweile empfindlich kühl. Chris tritt nun seinen Feierabend an und ich ins Café, um bei Dennis meine Rechnung zu begleichen. Auf dem Heimweg begleitet mich das Kreischen der Mauersegler. Oder sind es schon Fledermäuse?

Matthias Bosenick

www.krautnick.de
Fakebook
www.rille-elf.de

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