#20 Die Grenzen der Kontrolle

Donnerstag, 11. Juni

Es ist Abend, was im Sommer erfreulicherweise bedeutet, dass es noch hell ist. Es ist auch warm genug, um draußen zu sitzen, was viele Gäste tun. André ist um diese späte Uhrzeit alleine hinter der Theke, aber bei weitem nicht alleine im Café.

Zu den vielen Gästen gehört auch Marcel, der ehemalige Praktikant Nummer 5. Zu ihm an den Tresen gesellt sich Michael. Wolfsburg ist das Thema: Kann man ironiefrei sagen, dass man die Stadt mag? Das kulturelle Angebot scheint sich zu mausern, doch vom deutschen Fußballmeister ist Michael nicht so überzeugt. „Das ist wie mit der Eintracht“, glaubt er, „die werden nie wieder einen Titel schaffen und dann ihr Leben lang von dem einen reden.“ Doch sei jeder Meister besser als die Bayern, abgesehen von 1860.

Marcel ist mit einer kleinen Gruppe von Freunden da und setzt sich an den Tisch mit dem Sofa. Den teilt sich die Gruppe mit einigen Gästinnen, die dort schon sitzen. Nach einer Weile entdecken sie das Kinderspiel mit dem Flugzeug, das im Spieleschrank des Cafés auf an sich viel jüngere Gäste wartet. Die spontane Spielegemeinschaft hat zumindest den ganzen Abend über Spaß an dem sich drehenden Plastikflugzeug. Immerzu hört man das Klackgeräusch, das ertönt, wenn das Flugzeug auf seiner Runde eine Spielstation erreicht. Dazu erschallt das laute Gelächter der Spieler.

Ermuntert von diesem Treiben, inspizieren zwei andere Gäste den Spieleschrank. Sie fördern ein Schachbrett inklusive Figuren zutage, tragen es nach draußen und dort hochkonzentriert Partie um Partie aus.

Für einen kurzen Augenblick kommt Chris ins Riptide. An sich hat er schon Feierabend, aber auch nur kurz: „Ich lege heute Abend noch auf.“ Und weil die Zeit allmählich eng wird, verabschiedet er sich auch schon wieder.

Für Michael ist das aktuelle Kinogeschehen in Braunschweig ein wichtiges Thema. Seit das „City“ geschlossen ist, bietet das „Cinemaxx“ ein entsprechendes Programm unter dem Namen „Artmaxx“ im eigenen Haus an. Viele Braunschweiger sind verwirrt und glauben nun, im „Artmax“ mit nur einem X gäbe es jetzt ein Kino. Einer der letzten Filme, die Michael im „City“ gesehen hat, war „The Fall“ von Tarsem Singh. „Den kannte ich schon, den habe ich auf Blue Ray“, sagt er. Trotzdem wollte er ihn noch mal im Kino sehen. Im „City“ angekündigt war noch „The Limits Of Control“, der neue Film von Jim Jarmusch, doch das „City“ schloss knapp vor dem Filmstart. Jetzt hofft Michael, dass der wenigstens im „Artmaxx“ laufen wird. Er bestellt bei André einen Kaffee.

Dienstag, 23. Juni (Sankt Hans)

In Braunschweig machen die Geschäfte zu. Es ist nach 20 Uhr, warm und trocken, also ideal, seine Zeit draußen zu verbringen. Michael und Christian kommen gerade aus dem Riptide. Sie haben keine Zeit: „Wir wollen ins ‚Cinemaxx‘, den neuen Jarmusch sehen“, sagt Michael. Wie angekündigt. Es war schon viel Schlechtes über den Film zu hören und zu lesen, aber davon lässt Michael sich nicht beirren. „Ich berichte, wie ich ihn finde“, sagt er und stürmt mit Christian los.

Auch fürs Riptide bedeutet diese Uhrzeit an einem Dienstag Ladenschluss. Ein Gast stöbert trotzdem noch in den Platten herum, André bereitet sich auf seinen Feierabend vor. Von Michaels Vorhaben, „The Limits Of Control“ zu gucken, hat er erfahren. „Den will ich auch noch sehen“, sagt André. Nicht zuletzt wegen der Musik von Boris, die den Score eingespielt haben.

„Gestern hatten wir hier eine Ausstellungseröffnung“, erzählt er. Die Begleitparty hat lange gedauert: „Ich war erst spät zu Hause.“ Tapas gab’s, berichtet er, zubereitet von der Künstlerin Celia selbst. Celia zeigt Gemälde und Zeichnungen, die über den Tischen und dem Sofa an den Wänden hängen. Sie sind farbenfroh und ernst. Genähte Kakteen stehen im Fenster, dem „Fernseher“. „Die sind auch von Celia“, sagt André. Eine genähte Puppe hängt sogar zwischen den Bildern.

Plötzlich stürmt Régine ins Café. Ihre Ausstellung ging gestern zu ende, sie hatte heute ihre Bilder abgeholt. Für den November plant sie eine weitere Lesung im Riptide und freut sich auch schon darauf. Noch mehr freut sie sich über die anstehenden Ferien: „Ich habe endlich alle Klausuren abgegeben.“ Klingt nach Lehrerin. Sie verabschiedet sich und verschwindet in die Passage.

André beginnt jetzt, die Klappschilder und Pflanzen ins Café zu holen. Bevor er die Drahtseile um die Tische und Stühle draußen schlingt, gönnt er sich eine Feierabendzigarette und ein passendes Getränk. Während er so sitzt, radeln und spazieren Leute vorbei, die ihm einen schönen Feierabend wünschen. Ein Paar trudelt ein. „Wir haben leider schon geschlossen“, sagt André. „Aber ihr könnt euch gerne noch die neue Ausstellung angucken.“ Das Angebot nehmen sie an. Nach einer Weile kommen sie zurück und lesen den Infozettel in der Cafétür. „Aus Spanien kommt sie“, stellen sie fest. Sie unterhalten sich noch eine Weile mit André und wollen dann an einem Tag wiederkommen, an dem das Riptide auch nach 20 Uhr noch offiziell geöffnet hat. Das wird am Donnerstag sein. Inzwischen hat André aufgeraucht und ausgetrunken und alle Stühle zusammengeschlossen. Es ist Feierabend, weit nach 21 Uhr, es ist hell und warm und sieht ganz danach aus, dass dieser Abend noch etwas zu bieten hat.

Matze (van Bauseneick)
www.krautnick.de

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