Mittwoch, 24. Juli
Fußballmonat Juli, man mag es kaum glauben, in der bundesligafreien Zeit, die wir eigentlich haben. Aber, die Fußball-Europameisterschaft in Schweden läuft ja, auch wenn es Leute gibt, die behaupten, das sei ja kein richtiger Fußball, sondern Frauenfußball. Soeben erfolgte der Anpfiff des Halbfinalspiels der Gastgeberinnen gegen die Deutschinnen, morgen spielen die Däninnen gegen die Norwegerinnen; ein ansehnlicher Sport, auch fußballerisch dem männlichen Pendant nicht selten überlegen. Schade, dass es nicht üblich ist, die Begegnungen der Frauen analog zu denen der Männer überall in den Kneipen zu zeigen, auch über die WM im eigenen Land hinaus, die vor zwei Jahren so viel Spaß machte.
„Fliegende Liebende“ stand vor einer Weile auf dem Programm, mit Leuten natürlich, einer davon natürlich Micha, und an dem Tag war auch die Vorführung von „Guaia Guaia“, dem Sound-On-Screen-Extra im Universum und im Riptide, und ebendort saß im Achteck die titelgebende Band, während im Kino der Film lief. War schon seltsam, ständig an Filmplakaten vorbeizulaufen, auf denen Leute abgebildet waren, die man eben noch in seinem erweiterten Wohnzimmer gesehen hat. Unser Film indes war nicht so gut, einige nette Ideen, aber irgendwie hat sich Pedro Almodóvar offenbar ausgedacht, einmal ein wenig herumzuspielen, und das ist ihm nicht gelungen. Der Kinoabend als solcher war trotzdem gut. Und endete nicht im Riptide, weil dort die Party von „Guaia Guaia“ lief, da wollten wir nicht stören.
Mann, sind die Frauen schnell. Schöne Kombinationen, schnelle Pässe, dynamisches Spiel, und das, obwohl die Deutschen in ihrem ersten Spiel gegen die Niederländerinnen einige Schwierigkeiten hatten, sich überhaupt zu finden, aber dann ging es im Verlauf des Turniers allmählich, und immer besser, sonst wären sie jetzt ja nicht Halbfinalistinnen. Halbe Stunde, null zu null.
„Das habe ich dir ja noch gar nicht erzählt“, sagte Jakob, als ich einmal wieder an einem Samstagnachmittag durch den Bogen bei Möbel Sander trat und in den Handelsweg schritt. Jakob war einer von vielen, die mit Serge debattierten, „wir sind schon seit drei Stunden dabei, du hast etwas verpasst“, sagte Serge, und das glaube ich ihm. Jakob glühte und strahlte, als er mir dann berichtete, wie er Colour Haze in der Markthalle in Hamburg live gesehen hatte. Natürlich, ein fantastisches Konzert. Etwas Besonderes war es für Jakob, dass der Sänger selbst am Merchandising-Stand seine Aufgabe verrichtet hatte. Jakob hatte sich von ihm sofort eine LP signieren lassen und ihm dann erzählt, dass das nicht die erste Colour-Haze-LP ist, die er mit Signaturen hat, und der Sänger hatte direkt gemeint: „Dann bist du Jakob aus Braunschweig.“ Uwe von Raute Records kennt die Band persönlich und hatte einmal für Jakob eine signierte LP besorgt, das muss den Sänger beeindruckt haben.
Was für ein Tor. Einfach reingekullert, nach einem leichten Tritt von Dszenifer Marozsán, knapp neben den Pfosten, ins Netz, ins lange Eck, und niemand konnte den Ball aufhalten.
Jakobs Geschichte erinnert mich an mein Fixmer/McCarthy-Konzert 2004 in Kopenhagen. Veranstalter war der „Club Stahlwerk“, der sich auf Gruftmucke, EBM und solches spezialisiert hatte. Ähnlich wie beim Silver Club, fanden die Konzerte und Partys an wechselnden Lokalitäten statt, nur dass der Club Stahlwerk in Kopenhagen deutlich mehr Auswahl hatte als wir in Braunschweig. Heute gibt es den Club übrigens nicht mehr, weil es in Kopenhagen einfach zu wenig Publikum für solche Musik gab. Das Konzert von Fixmer/McCarthy sollte im Templet stattfinden, in Lyngby, reichlich außerhalb der Innenstadt und damit meiner üblichen Bahnen. Also mailte ich den Club an, wo Templet denn läge, wo es Tickets gebe, wie ich von der Jugendherberge in Bellahøj – dort übernachtete ich früher immer – nach Lyngby käme und so. Mir antwortete Jonas, und mit ihm stand ich für eine kleine Weile im Mailkontakt. An dem Konzertabend dann klappte alles wie beschrieben. Ich erhielt mein Ticket, fand die Location, trank Bier, feierte im rappelvollen Saal zu einem wildgewordenen Douglas McCarthy und einen chilligen Terence Fixmer und hatte ebenso viel Spaß wie alle anderen. Nach dem energetischen Konzert lehnte ich mich an die Wand, ließ das Publikum diffundieren, lauschte auf die ersten Tracks der After-Show-Party und atmete durch. Von gegenüber durch die Tür, einmal quer durch den Saal, stratzte ein Mann auf mich zu, zielstrebig. Wie Moses teilte er die Gehenden und schuf so eine Schneise, die vor meinen Fußen endete. Dort sagte er irgendetwas, das ich nicht verstand, weil es auf Dänisch war, was ich ihm sagte, und darauf meinte er auf Englisch: „Ah, dann bist du Matze.“ Genau, Jonas. Eine unwahrscheinliche Begegnung.
Eine Stunde gespielt, es geht zur Sache. Wie gegen Island, für die Deutschen das zweite Spiel der EM, da kickten sie die Isländerinnen mit drei zu null Toren weg, leider, den Isländerinnen habe ich gerne zugesehen, und dann kam ja das historische Spiel gegen Norwegen, als Deutschland verlor, zum ersten Mal in einer EM seit 20 Jahren, wie kein Moderator zu erwähnen auslassen kann, offenbar. Gegen Italien hat dann im Viertelfinale ein einziges Tor gereicht. Ob es jetzt auch so wird? Das Tor der Schwedinnen gerade zählt nicht, Abseits, Glück gehabt. Aber jetzt werden sie bissig. Beide.
„Der Sommer beginnt bei uns jeden Tag um 16 Uhr“, sagte Serge, als ich einmal mehr bei ihm saß und Kaffee trank. Ferdinand kam mit einem Kuchenpaket vorbei und wollte in seine Wohnung gehen, als Serge ihn darauf ansprach, aha, Kuchen, „möchtest du ein Stück?“, fragte Ferdinand, und Serge mochte, also brachte Ferdinand ihm einen Pappteller mit einem Stück Erdbeerkuchen heraus und sagte zu meiner Überraschung: „Wenn du fertig bist, gib der Gabel einen besonderen Platz in deinem Schaufenster.“ Serge bejahte, ich staunte nur umso mehr, und Serge plazierte die Gabel zwischen seinen Auslagen auf dem Tisch vom Tante Puttchen, gezielt. Eine Woche später berichtete Serge dann, dass er die Gabel selbstverständlich zurückgegeben habe, „ordnungsgemäß“. Kuchen brachte ich letztens auch bei Raute vorbei, wie verabredet, und Uwe und Katrin erzählten, dass sie eine Live-Sendung bei Radio Okerwelle hatten, ausschließlich mit Musik, die sie auch im Laden verkauften, und die Sendung lief direkt vor Soundschwesters „Zimmerservice“.
Die Schwedinnen legen nach. Ein Pfostenschuss, ein gehaltener Fallrückzieher, der Ausgleich steht an, scheint es. Es wäre sicherlich ein undankbarer Job, die Gastgeberinnen aus dem eigenen Turnier zu werfen. Aber noch ist es ja nicht so weit.
Ein Dienstagabend im Handelsweg, das bedeutet, es ist das Dienstagstreffen in der Einraumgalerie und jetzt im Sommer ohnehin ganz viel los in der schmalen Straßenzeile. Unter den vielen redenden, trinkenden und rauchenden Galeriebesuchern vor der Galerie waren die beiden Stefans, die mit einer kontinuierlichen „Ich so, er so, ich so, er so“-Aufreihung zu tiefschürfenden Dialogen einluden. Wer da nicht mittun wollte, nun: Getränke im Riptide lockten, ein Treffen mit Jessy, also wollte ich nicht mittun, und Nina und Jogi kamen vorbei, sie wollten essen gehen, irgendwo in einem Restaurant, das wohl gerne gut besucht war, und die beiden hatten nicht reserviert, aber die vom Urlaub entspannte Nina meinte, das sei nicht so schlimm, denn „heute ist ja in der Woche – oder“? Einraumdienstag also nächstes Mal. Ebenso nächstes Mal schließe ich mich dem Bass-Stammtisch an, der im speziellen Turnus freitags im Riptide tagt, letztes Mal konnte ich nicht, es wäre auch mein erstes Mal gewesen. Mit Bass-Stammtisch-Initiator Schepper war ich stattdessen später in Nordstrand, um ihn mit Bass am Strand zu fotografieren, aber da wir beide dort vorher noch nie waren, wussten wir nicht, dass es in Nordstrand keinen einzigen Strand gibt. Dafür Kaffee in Husum und einen Sandsturm in St. Peter-Ording, wo wir dann letztlich doch das Ersehnte fanden, den Strand nämlich, und immerhin das wusste ich vorher, aber Nordstrand, was für ein irreführender Name, auch wenn die Insel trotzdem schön ist. Sand Peter-Ording nannte Schepper den Ort daraufhin. Mit Schepper erfand ich gestern im Hermans als Namen für die Ghettoviertel unserer Stadt den Namen Bronxweig.
Schlussphase. Keine fünf Minuten mehr. Aber noch vier Minuten drauf. Alle geben alles, es geht zur Sache, und ehrlich, da verdienen beide Mannschaften ein Tor, die Schwedinnen den Ausgleich wie die Deutschen ihr zweites. Abpfiff! Huh, Deutschland ist weiter, im Finale, und mal sehen, gegen wen – morgen stehen sich Dänemark und Norwegen gegenüber, und dann entscheidet es sich.
Draußen sitzen. Eine Wohltat zurzeit, überall, Vielharmonie, Gambit, Okercabana, Havanna, und natürlich im Riptide, jetzt erst wieder mit Gabi, Markus und Sarah, nachdem wir uns im Badsha bestens ernährten, und die drei Wolfsburger waren noch nie zuvor im Riptide. Sarahs Mobiltelefon erleuchtete ihr Gesicht in der Dämmerung, als sie die neueste Nachricht vom englischen Thronblag las und dass der Name noch immer nicht bekannt war, und Markus wusste um die königliche Tradition, „wo sie woanders Speisekarten aushängen, da schreiben sie den Namen rein“. Gabi stellte unvermittelt fest: „Anastacia hat keinen Krebs mehr.“ Sarah wandte sich ihr sofort zu: „Oh, wirklich?“ Markus blieb abgeklärt. „Weiß ich doch schon längst“, winkte er ab. Die Frauen staunten. „Brigitte“, erläuterte er, und nach einer kurzen Pause, in der wir diese unerwartete Offenbarung zu verdauen begannen, fügte er hinzu: „For Men.“
Das Endspiel ist am Sonntag, um familienfreundliche 16 Uhr. Genau, wenn in Braunschweig täglich der Sommer beginnt.
Matze Bosenick
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