#89 Zwölf Uhr Mittags

Dienstag, 24. März

Punkt 12 Uhr. Chris fährt die Rollläden hoch, dreht im Fenster neben der Tür das „Open“-Schild, eine Picture-LP von Cargo Records, um, so dass das Wort „Closed“ jetzt nur noch von der Caféseite aus zu sehen ist, schaltet im Café, an der Vitrine und am Kühlschrank das Licht an und sagt: „Nur noch drüben aufschließen und die Lüftung ausmachen.“ Marco hat auch noch etwas zu erledigen: „Ich bringe jetzt den Müll weg.“ Das Café Riptide inklusive Rip-Lounge steht damit dem Gästeansturm bereit. Wie jeden Tag. Der erste Kaffee geht an Stefan von der Einraum-Galerie schräg gegenüber.

Klingt gut, sieht so einfach aus. Doch bis es so weit ist, hat Chris schon drei Stunden Arbeit hinter sich. Und diese Zeit war mitnichten einfach, vielmehr stand Chris unter dem altbekannten Hochdruck, mit dem er mit Marcos Hilfe seine Pflichten exakt getaktet verrichtete. Und ich begleitete ihn dabei.

Kurz nach 9 Uhr, Chris kommt mit seinem Mountainbike in den Handelsweg gerollt. Sein Fahrrad stellt er vorübergehend im Café unter und schließt dies dann wieder hinter sich ab. Sein Bike steht jetzt zwischen vielen Dingen, die man als Gast nur draußen stehend kennt: Ein Ölfass mit Blumentopf und Windlicht darauf, zwei aufeinander gestellte Bänke, drei Stapel Sitzkissen, zwei große Topfpflanzen, zwei Ölfackeln. Im Morgengrau des unbeleuchteten Cafés sieht alles so fremdartig unglamourös aus – aber das wird sich schon noch ändern.

Chris schließt die Tür gegenüber dem Riptide auf, neben dem neuen Schmuckladen, denn dort im ersten Stock richteten sich André und er vor einiger Zeit ein geräumiges und abgeschiedenes Büro ein. Dort beginnt für die beiden Chefs jeweils der Arbeitstag, noch vor den Angestellten und den Gästen sind sie für den Betrieb auf Achse. Hier macht Chris den Tagesabschluss von gestern und die Tagespläne von morgen und kontrolliert die von heute ein letztes Mal. Konto- und Buchführung sind die nächsten Aufgaben. Dann checkt er Emails. „Wir haben 150 bis 240 Emails am Tag“, sagt Chris. Er sortiert den Spam heraus, der trotz wirksamer Filter im Posteingang landet, und bearbeitet dann die Kundenbestellungen. Einige davon kann er schon im Büro erledigen, anderes geht nur von unten im Café mit direkter Verbindung zu den Händlern: „Das mache ich später.“

Mit diesen Büroaktivitäten ist Chris sage und schreibe anderthalb Stunden lang beschäftigt. Muße hat er für diese Arbeit indes nicht, sein Vormittag ist durchchoreographiert. „Um 12 Uhr muss der Laden so fertig sein, dass es egal ist, ob ein Gast oder 100 kommen“, erklärt Chris. Gegen halb 11 Uhr lässt er das Büro hinter sich und geht ins Café, dessen Tür er sorgsam hinter sich abschließt, und streift als erstes grob durch den Laden. Er schaltet die Reinhör-Anlage am Fenster ein, hängt den Kopfhörer gerade auf, begradigt ein Schild, geht durch die LP-Fächer und bringt die Tonträger exakt auf Reihe, zieht einen schwarzen Vorhang vor den Lagerboxen komplett zu. „Das machen wir den ganzen Tag über immer wieder“, sagt Chris. Als nächstes will er die Küche vorbereiten: „Das dauert 20 Minuten.“

Doch es klopft. Normalerweise hat vor 12 Uhr niemand Zutritt, doch dieses Mal ist es anders: Michael steht vor der Tür, er ist Tischler und betreut das Mobiliar und die Einrichtung im Riptide. „Der darf rein“, grinst Chris. Er unterbricht seine begonnenen Abläufe in der Küche, trocknet sich die Hände ab und geht mit Michael nach gegenüber in die Lounge. „Ich hab die Schablonen fertig“, sagt Michael. Es geht um Tischplatten für die beiden Tonnen, die im Café und in der Lounge stehen, und die Frage, ob diese fest installiert werden oder beweglich bleiben sollen. Davon hängt auch die Verzierung der Wand in der Lounge ab. Details soll Michael am Donnerstag mit André klären, wenn der vor Ort ist. Chris überlegt, eine dritte Tonne zu organisieren. „Das sind Standard-Ölfässer, die gibt’s bei jedem Autohändler“, sagt Michael. Schwarz anmalen sei das kleinste Problem. Er betont, dass die Tischplatten mit zwei Magneten an den Tonnen befestigt sind: „Die haben 86 Kilo Zugkraft, die kriegt man nur zu zweit ab.“ Damit sei verhindert, dass die sich im normalen Betrieb lösen, aber gewährleistet, dass man die so entstandenen Tische auch umnutzen kann. Jetzt ist zunächst alles Klärbare geklärt. „Kaffee?“, fragt Chris, der seinen engen Zeitplan einhalten will. „Milchkaffee“, nickt Michael. Chris schließt die Lounge hinter uns ab und nimmt uns mit ins Café. Michael setzt sich auf die umgedrehte Bank zwischen Theke und Plattenfächern und nimmt den Milchkaffee entgegen.

Tischlermeister Michael ist eigentlich von Anfang an fürs Riptide im Einsatz. „Die Tresenanlage hat Kai gemacht“, erzählt er mir. „Da war ich schon dabei und habe die Arbeiten ab da ergänzt.“ Chris wirft ein, dass Michael auch DJ ist, in einem Zweietrteam. „Wir heißen ‚Freunde von uns’“, bestätigt der. Seinen alten DJ-Namen legte er vor einiger Zeit ab: DJ Fur, mit umgedrehten R, also FUЯ. Fur wie Pelz, denn das ist sein Nachname. „DJ für elektronische Musik“, fügt er hinzu. Die Zusammenarbeit mit den Riptide-Chefs ist sogar älter als das Café: „Wir kennen uns schon ewig und drei Tage“, sagt Chris. „Mindestens zehn Jahre.“ Michael ergänzt: „Und André kenne ich, seit ich 16 bin.“

In der Küche sorgt Chris dafür, dass die Abläufe nachher im laufenden Betrieb so kurz wie möglich gehalten werden können. Er reinigt Tomaten, Gurken und Salat, den er sogar schleudert, und schneidet das Gemüse sowie die Zitronen vor. „Das ist der erste Schwung, im Laufe des Tages muss ich nachschneiden“, sagt Chris.

Mein Blick fällt auf das Fahrrad, das zwischen der Tonne und der Theke parkt. „Ich komme immer mit dem Fahrrad und stelle es hier morgens rein“, erklärt Chris. „Mit dem Auto komme ich nur, wenn ich muss, zum Beispiel montags für den Einkauf.“ Gurken- und Tomatenscheiben verschwinden in Behältern. „Ich liebe es, mit dem Fahrrad zu fahren“, sagt Chris mit Nachdruck. „Dieses Mountainbike ist älter als unsere Gäste manchmal“, stellt er fest: „Es ist von 1991, 24 Jahre alt, und schnurrt wie ein Kätzchen.“ Damals sei es auf dem neuesten Stand der Technik gewesen. Michael, der eigentlich gerade zwischen den LP-Boxen unterwegs ist, wirft einen Blick auf das farbenfrohe Rad: „So etwas wäre eine Sonderlackierung heute.“ Heute gäbe es nur noch zwei verschiedene Farben an Fahrrädern, alles andere koste Aufpreis. „Das ist ein Rahmen von Mannesmann, bevor sie zu Mobilfunk gewechselt sind“, erläutert Chris. „In Norddeutschland gab es mit dem Lack nur zwei Fahrräder, hat man mir gesagt.“ Kürzlich habe er sein Mountainbike in einem Fahrradladen vorgezeigt und dort habe man ihm bescheinigt, dass die Technik zwar nicht mehr auf dem aktuellen Stand sei, aber dennoch überraschend „tip top“.

Mein nächster Blick fällt auf die Tische und Stühle, die draußen im Achteck zwischen Lounge und Café zusammengebunden stehen. „Anfangs haben wir die auch reingenommen“, bestätigt Chris meinen Gedanken. „Aber dann haben wir uns gesagt: Was soll das? Jedes Mal gehen Tische und Stühle rein und raus.“ Seitdem bleiben die wetterfesten Möbel eben draußen. „Darum kümmere ich mich aber später, die Küche ist wichtiger“, sagt Chris. „Als nächstes mache ich die Lounge, um 11 Uhr kommt Marco.“

Wie auf Kommando klopft ebenjener an die Tür. Ich öffne ihm. Chris unterbricht seine Arbeit in der Küche erneut und drückt Marco einen Kurzzeitwecker in die Hand, den er von der Theke greift, und nimmt sein Fahrrad mit, als er Marco in die Lounge begleitet. Dort stellt er sein Bike in die Abstellkammer neben den Toiletten und gibt Marco Besen, Handfeger und Kehrblech. Diese Zeit nutzt Michael, um murmelnd mit einem Zollstock den Thekenbereich auszumessen.

Nun hat Marco seine Aufgaben und Chris eilt zurück in die Küche. Er sortiert die Behälter im Kühlschrank und legt Backpapier im Backofen aus. Michael und ich unterhalten uns über die Kreativität junger Bands im Vergleich zu den Endsiebzigern sowie Frühachtzigern und heute und stellen fest, dass junge Leute heutzutage eher zum Imitieren neigen als dazu, selbst musikalische Wagnisse einzugehen. Und: „Was in Braunschweig fehlt, sind bezahlbare Übungsräume“, stellt Michael fest. „Es macht einen Unterschied, Musik, die man macht, unter Livebedingungen im Übungsraum zu hören – oder über Kopfhörer oder die Heimanlage.“ Eine Band habe er nicht, das gelte auch fürs Auflegen, sagt Michael, während Chris Teigkleckse aufs Backpapier legt, die nach dem Backen zu Cookies werden. Fertige Muffins taut er auf und legt sie auf Tabletts, die er dann in die Vitrine an der Theke stellt. Er schlägt ein Ei in einen Behälter, ruft „es wird laut“ und schaltet den Mixer an. „Ja, laut ist auch besser“, sagt Michael, der Chris‘ Satz auf seine Einschätzung zu Auflegen in Übungsräumen bezieht. Wir lachen gegen den Mixer an. Michael legt mit seinem Co-DJ bevorzugt „back to back“ auf, wie er es bezeichnet: Jeder spielt einen Song und der andere reagiert darauf. Das mag ich wiederum nicht so gerne wie halbstündige Wechsel, er jedoch liebt es, nur knapp zweieinhalb Minuten Zeit zu haben, auf den Track des Partners zu reagieren. „Das liebe ich beim Auflegen“, brummt auch Chris aus der Küche. So haben Chris und ich das einmal auch beim Silver Club gemacht, in der Wichmannhalle. Das war sehr spannend, was dabei herauskam, aber mich strengt es an, ich kann mich besser einbringen, wenn ich eine halbe Stunde Zeit für mich habe.

„Der Kaffee ist leer“, stellt Michael fest und dabei die Tasse auf die Theke. So schnell wird er Chris nicht wiedersehen, wenn er sich jetzt verabschiedet, denn der geht noch in dieser Woche in Urlaub. Chris schließt hinter Michael die Cafétür ab. Er blickt in die Küche und resümiert seine Taten. „Ich glaube, die Küche ist fertig“, entscheidet er und streift erneut in die Ecke mit dem Schallplatten. „Hier oben fehlt noch eine Platte“, stellt Chris mit Blick auf die Auslage über den LP-Fächern fest. „Da kommt eine schöne Platte hin“, sagt er und fischt „Girls In Peacetime Want To Dance“ von Belle & Sebastian für diesen Zweck aus dem Fach. „Dann ist hier fertig“, sagt er und geht in den Cafébereich. Dort schaltet er als erstes die Stehlampe neben dem Sofa ein und stellt dann fest, dass die weißen Sitzquader nicht so stehen wie gewohnt. „Was haben die denn hier gemacht?“, sinniert er und dreht einen der Quader längs in den Raum. Er rückt Tische zurecht, arrangiert Karte, Vase, Zuckerstreuer und Flyer auf allen Tischen exakt identisch und legt die Kissen an den Sitzflächen ausgerichtet zurecht. „Marco macht hier noch sauber und fegt alles durch“, sagt Chris und überlegt, was er als nächstes machen soll. Er wirft einen Blick auf sein Mobiltelefon: „Sieben Minuten hab ich noch, dann klingeln die Cookies.“

Also macht sich Chris noch nicht wie beabsichtigt an die Toiletten, sondern stellt als erstes die beiden Klappbänke draußen vor die Fenster. Er nimmt den Blumenkübel von dem Ölfass und hängt ihn an die Zunftwappenstange draußen an der Wand links vom Eingang, die Tonne mit dem Windlicht stellt er direkt darunter. Die Ölfackeln stellt er rechts und links vom Eingang auf, die beiden Pflanzen links zwischen Tonne und Tür. „Die haben ein bisschen gelitten“, bedauert Chris und geht in die Küche. Mit einer Schale voller Wasser für Hunde kehrt er zurück, er stellt sie neben den Pflanzen ab. Rechts vom Eingang und auf der Tafel neben der Theke ist die aktuelle Suppe angeschlagen: Schmorpaprika-Tomaten-Suppe. Ein erneuter Blick auf die Uhr mahnt Chris: „Die Cookies sind gleich fertig.“ Er holt ein Tablett voller leerer Aschenbecher aus dem Café und bringt es in die Lounge. Auf dem Weg grüßt er die Nachbarn von der Strohpinte und der Einraumgalerie, die sich miteinander unterhalten.

In der Lounge fegt Marco den Boden, Handfeger und Kehrblech liegen einsatzbereit auf der Tonne. „Vorsicht“, warnt mich Marco davor, nicht in den Haufen zu treten, den er vor mir angefegt hat. Chris ist in der Abstellkammer, es läuft bereits Musik hier. Die von außen so unscheinbare Abstellkammer ist deutlich größer, als ich gedacht hätte. Ich sehe allerlei abstellkammerntypisches Zeug, wie Sackkarre, Gelbe Tonne, Klappleiter, Toilettenpapier, Chris‘ Mountainbike, Deko und wer weiß was noch. Stefan kommt kurz in die Lounge und fragt etwas wegen der für heute geplanten Wanderschafts-Veranstaltung, die ihren Ausklang am Abend im Handelsweg nehmen will und an der sie beide daher beteiligt sein werden. Die gefragten Details hätte jedoch deren Veranstalter klären müssen, sagt Chris, und eilt ins Café, denn der Cookieton erklingt. „Okay, dann komme ich später wieder“, sagt Stefan und steuert seine Galerie an.

Als nächste Aufgabe steht für Chris an, die WCs in der Lounge zu reinigen: „Das mache ich jeden Morgen.“ Der Wecker tickt auf dem Tisch am Fenster, Marco rückt Stühle herum, um dahinter besser fegen zu können. Die Sonne rückt ebenfalls, und zwar allmählich etwas aus dem Dunst heraus, und hellt die Passage auf. Marco hat früher Musik gemacht, hat mir sein früherer Mitmusiker erzählt: Jens, der mit Steffi das Online-Magazin „Kult-Tour Braunschweig“ maßgeblich befüllt. Das Projekt hieß „Evolution Error“ und ich habe mir fast alle Tracks im Internet angehört. Oldschool-Industrial ohne Schnörkel, aber mit Atmosphäre. „Das waren Gitarren… und Krach“, sagt Marco zwischen zwei Besenstößen. „Und wir haben Drums präpariert“, erinnert er sich. Der Wecker klingelt, ich höre Chris‘ Stimme undeutlich aus dem WC-Bereich ertönen. „Jo, jo“, antwortet Marco und konzentriert sich wieder auf die Musik: „Ich glaube, wir haben auch ein paar Streicher reingemixt – es war ziemlich krachig.“ Das stimmt, und ich mag es. Er zuckt mit den Schultern und grinst: „Wenn’s jemandem gefällt, ist doch gut.“

Chris erscheint mit dem Lappen im Anschlag auf der Schwelle zu den Aborten und erklärt, dass er die Lüftung morgens immer „eine Stunde auf volle Pulle“ stellt und dann ausmacht, „weil tagsüber ist es zu laut“. Die Postzustellerin bremst im Achteck, nimmt etwas aus der Fahrradtasche und steuert das Café an. Chris macht sich bei ihr mit Loungefensterklopfen bemerkbar, sie treffen sich im Eingang. „Hallo“, sagen beide, und Chris nimmt ihr seine Post ab. Schnell schiebt sie ihr Rad weiter, Chris widmet sich wieder seinem Tagewerk. „Bei Gelegenheit könntest du mal einen neuen Besen kaufen“, sagt Marco, während er umständlich Fussel aus den Borsten des umgedrehten Reinigunsgerätes pult. „Das notier ich mir im Hinterkopf“, sagt Chris. „Hier ist sonst noch einer.“ Er holt die Papierkörbe aus den WCs, Marco stellt sie in die Abstellkammer und fegt weiter. Für einen Moment stellt sich konzentrierte Stille ein. Ich höre neben der Musik Marcos Fegegeräusche und zwischendurch die Klospülung. Marco ist fertig und schiebt den Staubhaufen aufs Kehrblech. Es ist kurz nach halb 12: „Eine Minute, Marco, noch, dann müssen wir rüber“, höre ich Chris. Er kommt aus dem WC und sortiert die Dinge auf den Loungetischen. „Ich fülle Seife, Handtuchspender und Klopapier auf“, berichtet er mir von den Details seiner Sanitäraktivitäten. „Ich wechsle das Handtuch und wische alle Oberflächen ab, damit alles gut aussieht.“ Ich höre, dass Marco in der Abstellkammer lautstark und schwungvoll Mülltüten entfaltet. Er bestückt damit die Abfalleimer neu, die Chris danach auf die WCs verteilt. Chris nimmt ein überzähliges Schild, das die Suppe der Woche anpreist, von dem Tisch am Fenster und murmelt: „Wo fehlt dieses Schild?“ Ein Blick, und er weiß: „Hier fehlt dieses Schild“, und er stellt es auf den entsprechenden Platz. „Es ist wichtig, dass die Schichten ineinandergreifen“, sagt Chris und untermalt diese Aussage, indem er seine Finger verzahnt. „Die Spätschicht muss passen, ich habe nur ein Zeitfenster von einer Stunde.“ Wir verlassen die Lounge, Chris schließt hinter uns ab.

„Was machen wir mit den Polsterstühlen?“, fragt Marco Chris auf dem Weg ins Café. „Das mache ich gleich“, sagt der. Im Café stellt Marco den Wecker erneut und ihn auf den Tisch neben der Theke. „Also, ich habe die Küche fertig und die Ecken fertig, Marco fegt noch und saugt den Teppich, ich mache nur noch den Tresen fertig, muss den Computer einstellen, die Kasse zählen und draußen fertigmachen – was sagt die Zeit?“ Chris guckt auf die Uhr. „Ein bisschen drüber“, bemerkt er. Er nimmt ein großes vollgekritzeltes Buch aus dem Fach an der Theke: „Ich checke, ob es Reservierungen gibt.“ Er schiebt das Buch zurück: „Heute gibt es keine.“

Kassen zählen bedeutet, dass Chris die Inhalte der beiden Kellnerportemonnaies und der Hauptkasse nachrechnet. „Es wird abends gezählt und morgens“, sagt Chris. „Lieber doppelt, weil, es kann sich ja jemand verzählen.“ In beiden Kellnerportemonnaies ist immer gleich viel Geld. „Hier fehlen zwei Euro“, stellt er beim ersten fest. „Das muss ich auffüllen, sonst schleppt es sich durch den Tag.“

Vor der offiziellen Öffnung läuft im Riptide keine Musik, weil Chris den ganzen Tag lang beschallt wird und vorher Ruhe braucht. Er weiß, dass Marco, der gerade mit dem Besen in der Ecke zugange ist, gerne Musik hören würde, und es tut ihm auch leid, dass er ihm den Gefallen nicht tun kann. „Es gibt ja symphonische Musik, nicht Klassik, aber“, schlägt Marco vor. Chris nickt: „Ich höre auch ruhige Musik zu Hause, da brauche ich das.“ Er stellt fest, dass in der Hauptkasse genau die zwei Euro fehlen, die er eben ins Kellnerportemonnaie legte: „Das fülle ich aus meinem privaten Portemonnaie auf, sonst fehlt’s hier.“ Chris schiebt die Kassenlade zu: „Hier ist alles fertig. Ich gehe jetzt raus und mache hier Marco ein bisschen Musik an.“

Draußen setzt sich Chris auf den erstbesten Stuhl. Er hat eine Plastikschale und Schlüssel mitgebracht. Der Schlüssel passt zu dem Vorhängeschloss, mit dem das Drahtseil verschlossen ist, das die Stühle an den Tisch kettet. Die Schlösser aller Tischgruppen sammelt er in der Plastikschale, die Seile in der Hand. Nebenan, vor der Einraumgalerie, spricht Kulturbote Micha mit Stefan und grüßt uns. „Heute soll es trocken bleiben“, sagt Chris zu mir, als er die Sitzkissen von vor der Theke auf die Stühle verteilt. „Ich checke das morgens, davon ist abhängig, Kissen ja – nein; wenn’s regnen soll, keine Kissen, so lange das Dach nicht zu ist.“ Zurzeit ist das Sonnensegel zusammengerollt im Achteck gespannt. „In letzter Zeit lassen wir’s immer zu erstmal“, sagt Chris. „Es sind noch Windböen angekündigt.“ Wenn Chris die Kissen verteilt, immer zwei pro Stuhl, für Sitzfläche und Lehne, achtet er darauf, dass dabei die Nähte aufeinanderstoßen. „Wir haben da Schilder abgeschnitten, das soll man nicht sehen“, erklärt er. Als nächstes bringt er mit einem Tablett aus dem Café die Schilder, Karten und Zuckerstreuer auf die Tische draußen, als Micha sich zu uns gesellt. „Ich habe mir ‚Kingsmen‘ jetzt angeguckt“, erzählt ihm Chris. „Ich finde ihn auch gut“, sagt Micha. „Ich habe sehr gelacht.“ Chris kurvt um uns herum: „Das war eine Hommage an James Bond.“ Micha bestätigt das, sie tauschen sich Details zum Film aus.

Micha verteilt heute Flyer und Poster für die Dokfilm-Reihe, die er sehr empfiehlt. Ebenso die Show von „Tiere streicheln Menschen“, die am Freitag im Riptide gastiert: „Die sind großartig, da gehe ich hin“, sagt Micha. „Ich war fast jedes Mal da, wenn die hier waren, ich find die super, trockener Humor.“ Chris flitzt hinter die Theke und bindet sich eine Schürze mit einem Kellnerportemonnaie um. Eine Aufgabe hat sich für ihn so kurz vor 12 Uhr draußen doch noch herausgestellt: Auf einem der Tische ist wohl ein Flyer festgetrocknet. Er poliert daran herum, vergeblich: „Ich hole Reinigungsbenzin.“ Auch das hilft nicht, sein Fingernagel aber schon. „Ich komme gleich wieder“, sagt Micha und kehrt zurück zu Stefan, der lässig mit seinem Smartphone in der Hand am Eingang der Galerie lehnt. Chris kratzt weiter an dem Kleberest herum: „Ich weiß nicht, ob ich das im laufenden Betrieb schaffe – wenn die Gäste kommen, soll es perfekt und gründlich sein.“ André kommt heute erst um 14 Uhr, bis dahin ist Chris allein im Café und die Zeit für solche Maßnahmen knapp. Es gelingt ihm, der Tisch ist sauber. „Ich stelle noch auf den gereinigten Tisch das bereitstehende Zubehör“, sagt er und stellt auf den gereinigten Tisch das bereitstehende Zubehör.

Marco fegt gerade noch hinter dem Tresen. „Ich nehme schon mal die Uhr weg“, sagt Chris im Vorbeigehen. Gerade, als er sie vom Tisch nimmt, schrillt sie. Marco ist fertig, Chris steht am PC: „In einem Minute mache ich auf, sagt mir die Atomuhr.“ Also geht er an den Schalter am Fenster und fährt die Rollläden hoch. Er dreht das grüne Cargo-Records-Vinyl-Schild um, damit es von außen auf „Open“ steht, und drückt auf dem Weg zur Theke diverse Schalter: „Licht an, Licht an, Licht an.“ Im Café wird es hell, die Vitrine ist beleuchtet, der Kühlschrank ebenfalls. „So, ich bringe jetzt den Müll weg“, kündigt Marco bepackt aus der Küche kommend an. Chris öffnet ihm die Tür und sagt: „Jetzt muss ich drüben aufschließen und die Lüftung ausmachen.“ Das tut er, und als er zurückkehrt, ist es Punkt 12 Uhr und das Riptide geöffnet.

Stefan ist, wie angekündigt, der erste Gast. Er bestellt einen Kaffee. Micha kehrt zurück und nimmt auch einen Kaffee. Ich schließe mich an. Chris stellt uns die Tassen mit den Karamellkeksen hin und beklebt dann neue LPs mit Preisschildern. Der Tag beginnt. Klingt so einfach: Der Tag beginnt. Ist es aber nicht. Für die Riptide-Chefs ist der Arbeitstag schon drei Stunden alt, bevor noch der erste Gast eintrudelt. Uff. Eigentlich wäre jetzt eine Pause angebracht…

Matze Bosenick
www.krautnick.de

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