Freitag, 10. März 2017
Im Café Riptide wird zurzeit alles neu, und zwar zumeist auf eine Art und Weise, die man als Gast kaum wahrnimmt. Außer in der Lounge, aber was dort passiert, soll ein Geheimnis bleiben, bis Donnerstag, wenn das Riptide wieder für seine Kundschaft öffnet. Um 12 Uhr, wie gehabt. Bis dahin indes haben André und Chris noch einige Kraftakte vor sich. Und das mit lauter bereits getätigten Kraftakten in den Knochen. Die beiden luden mich dazu ein, mir ein Bild vom Renovierungsprozess zu machen, und ich freue mich, daran teilhaben zu dürfen.
Im Achteck steht Stecky vor der Cafétür, auf den Besen gestützt und mit einer Bekannten plaudernd. An der Wand zur Lounge stapelt sich Müll hinter einem Flatterband. Das Innere des Cafés ist geprägt vom Sound eines Staubsaugers, mit dem Chris die Ecke zwischen den LP-Regalen reinigt. „Ist laut“, sagt er, als Entschuldigung dafür, dass er sich mir momentan nicht verbal widmen kann. Das kann André besser, der in der Küche mit einem Bügeleisen eine Dekokante an ein Arbeitsbrett presst. „Das macht man so“, sagt er, als er mein Lachen hört.
Die Küche gehört zu den Orten, die der Kunde üblicherweise nicht zu Gesicht bekommt, also auch zu denen, deren Veränderung niemand wahrnimmt. Ich sehe, dass zwei neue Dunstabzugshauben installiert sind, beide kurioserweise mit rotweißem Flatterband versehen. Sämtliche Regale sind leer, oder besser: frei von Lebensmitteln; stattdessen lagern dort Werkzeuge, Arbeitsmaterialien und Putzmittel. Auf einem Block sind Zahlenkolonnen notiert, ein Taschenrechner liegt daneben. Ich mag André kaum erzählen, dass heute die Sonne die Stadt erhellt, doch der weiß das: „Wenn du zum Auto gehst, um die Parkuhr zu verlängern, kriegst du mit, dass die Sonne scheint.“
Noch sechs Tage sind es bis zur Neueröffnung. „Wir liegen in der Zeit“, sagt André vorsichtig. „Ein paar Kleinigkeiten noch, einige Besorgungen; mit den gröbsten baulichen Sachen sind wir durch.“ Dazu gehört: „Das neue Abluftsystem in der Küche, ein paar Tischlersachen, neue Schränke, neue LP-Displays an der Wand, wir haben den Tresen modifiziert.“ André zieht zur Demonstration eine neue Kühlschublade auf. „Wir wollen aber nicht zu viel verraten, sonst ist die Überraschung weg.“ Sehen darf ich also, sprechen aber nicht über alles. „Manches ist nicht offensichtlich, zum Beispiel die Farbe, einfach aufgefrischt“, sagt André. Damit auch kein Gast vor Donnerstag zu viel davon erkennt, sind sämtliche Fenster mit Zeitungspapier und ist die Tür mit Plakaten abgeklebt. Ein Papiercountdown am Eingang zählt die Tage rückwärts, den tauschen Chris und André entsprechend aus. Eines der Sichtschutzplakate trägt den Schriftzug „All Through The Night“, das „O“ ist herausgeschnitten: So viel Peek-a-boo gestatten die Inhaber ihren Gästen.
Die sehen dadurch aber trotzdem nicht, dass sämtliche Tische in der Ecke mit dem großen Fenster zusammengeschoben stehen. Davor stapeln sich Kisten und Farbeimer mit Malerutensilien. Ein Paar Arbeitshandschuhe thront über dem Ensemble. Auf der anderen Seite, an der Wand, zu deren Füßen Chris den Staubsaugerlärm erträgt, sind die Plattenregale abgeplant. In der Mitte bietet ein Tisch dem aberwitzigsten Werkzeug und dem obligatorischen Baustrahler einen Platz. Klappleiter und Sackkarre ergänzen das Arrangement wie Landmarken.
Das Highlight, so André, wird die Lounge: „Das wird aber nicht verraten.“ Da pflichtet ihm Chris bei, gestattet mir aber einen an Verschwiegenheit gekoppelten Blick hinein. „Da gibt es Pläne“, sagt er vage. Ich sehe, staune und schweige. Er schließt die Tür wieder ab und wir kehren zurück. Die noch nicht umgesetzten Pläne für den Außenbereich im Achteck will er mir nicht mal verraten, dafür präsentiert er mir die neuen Außenlampen: Strahler, die nach oben und unten die Fassade entlang leuchten. „Das hatten wir noch nie“, betont Chris, nicht zum einzigen Mal bei einer Nennung der baulichen Aktivitäten. „Ein warmes Licht, auch die Tafeln werden beleuchtet.“ Er schaltet es wieder aus. „Das bringt Licht und Gemütlichkeit, das ist uns wichtig“, sagt er. Auch die Fenster sind draußen abgeschliffen und neu lackiert.
Innen ist das Café neu gestrichen und tapeziert. „Wir haben den Kronleuchter tiefer gehängt“, Chris deutet auf den, der über dem zurzeit nicht am üblichen Platz stehenden Sofa angebracht ist, „und der andere war seit sieben Jahren nicht mehr an“, damit meint er den direkt im Eingangsbereich: „Wir mussten sogar den Schalter suchen.“ Inhaltlich kehrt Chris flott in die Küche zurück: „Dort ist alles neu, Herd, Kühlschränke“, er schwenkt wieder zurück, „komplett neuer Tresen, sieht auch keiner.“ Er fasst die Intention der Renovierung zusammen: „Das Café gemütlicher zu machen und so zu bleiben, wie wir sind.“ Bedenken, aus dem Riptide würde jetzt eine unpersönliche Hipsterkneipe, bestätigen sich mitnichten. „Für uns haben sich auch die Abläufe vereinfacht“, erklärt Chris.
Auch, wenn es gegenwärtig nicht danach aussieht: Der Öffnungstermin am Donnerstag bleibt, um 12 Uhr. „Nix Großes“, sagt Chris über das Comeback, „wir machen ganz normal auf und stellen eine Kiste Sekt hin, keine Bambule.“ André fasst den Rahmen weiter: „Das alles findet im Rahmen von Riptide 2.0 statt.“ Chris erläutert: „So nennen wir das.“ André fährt fort: „Wir haben im September unser Zehnjähriges – der erste Abschnitt ist die Inneneinrichtung.“ Chris ergänzt: „Dann kommen eine neue Webseite und ein neuer Webshop – der wird vom Provider nicht mehr unterstützt, deshalb ist ist der offline.“ Und eine neue Speisekarte gibt es: „Das ist uns wichtig, die wird völlig überarbeitet“, sagt André. „Konzeptionell bleibt sie gleich“, beschwichtigt Chris. „Wir werden nicht plötzlich Fleisch anbieten.“ Dennoch wird es Veränderungen im Angebot von Speisen und Getränken geben, denn darauf ist die neue Küche ausgelegt, dass die Karte diesbezüglich angepasst werden kann. André kündigt an: „Auch kulturell werden wir wieder mehr machen, das ist etwas in den Hintergrund gerückt.“ Daher soll sich in Sachen Licht und Sound ebenfalls etwas tun, doch noch nicht in dem angedachten Umfang; das soll später noch erweitert werden.
Trotz des Staubes in der Luft leuchten die Augen der beiden Gastwirte. Nach fast zehn Jahren immer noch und immer wieder. Sie kehren nun wieder zu ihren Aufgaben zurück und können doch nicht aufhören, zu erzählen: „Wir haben einen Lieferstopp gemacht“, sagt Chris mit Bezug auf neue Musik. „Am Dienstag kommen hier wer weiß wie viele Platten.“ Die müssen sie alle auspacken, auspreisen und in die LP-Fächer und neuen Displays stellen. Die sind nicht nur neu, sondern auch mehr: „Dann stellen wir die Platten nach Genres aus, Iron Maiden steht dann bei Metal“, erklärt Chris.
Stecky wuselt die ganze Zeit emsig herum, als letzte Aufgabe des Tages stapelt er die Flyer für die nächsten beiden Filme der Reihe „Sound On Screen“ in das Regal hinter der Theke. Am 23. März zeigt das Universum-Kino einen Film über Mumford & Sons und am 27. April „Gimme Danger“ von Jim Jarmusch über The Stooges. „Da muss ich wohl arbeiten“, sagt Stecky. Im Riptide natürlich. Jetzt hat er aber Feierabend. Er lässt sein Longboard auf den Boden fallen, öffnet die Cafétür und rollt ins Achteck und davon, am Flatterband vorbei, in den Sonnenuntergang.
Matze van Bauseneick
www.krautnick.de
Fakebook