#114 Dann schon lieber ausbrennen

Dienstag, 25. April 2017

Wer nicht dabei sein kann, muss sich das Wichtigste halt erzählen lassen. Für mich waren das zuletzt der Record Store Day am vergangenen Samstag und die Neueröffnung der Rip-Lounge im März, deren größte Veränderung nicht allein daran liegt, dass sie Chris und André wie das gesamte Café Riptide einer Renovierung unterzogen, sondern dass sie ihr die verqualmte Luft entzogen: Sie ist keine Raucherlounge mehr. Zwar habe ich den neu gestalteten Raum mit der spinnenartigen Lampenkonstruktion an der Decke schon begutachtet, aber noch nichts über die Resonanz zu dieser doch einigermaßen einschneidenden Veränderung in Erfahrung gebracht. Also auf ins Riptide, vielleicht finde ich in der RSD-Box noch ein paar Restschätze.

Zunächst finde ich André, ganz problemlos, schließlich steht er hinter der Theke und hantiert mit einem Paketklebebandapparat an einem Paket herum. „Innerhalb von einer Stunde war’s gegessen“, berichtet er vom RSD und bereitet mir einen Kafka zu. Einen Muffin hätte ich gern noch dazu. „Ich geb dir einen aus“, sagt André. „Den, den wir nicht verkaufen können“, sagt Lara, hinter ihm vorbeigehend. Johanna, die neue Praktikantin, verweist auf den Himbeerkuchen, der in der Vitrine unter den Muffins steht: „Den bitte bevorzugt behandeln.“ Den hat sie nämlich gebacken. André reicht mir schließlich den Muffin: „Ich habe extra den Rand abgemacht, um Deine Zähne nicht zu überfordern.“ Das Mitvierzigerdasein hat also auch seine Vorteile.

Eigentlich, so kehrt André zum Record Store Day zurück, war es wie immer: Schon eine gute Stunde vor Ladenöfnung standen die RSD-Kunden Schlange im Handelsweg. „60 Prozent davon kannte ich nicht, die habe ich zum ersten Mal gesehen“, wundert er sich. „Sie drängen sich um den Tisch und greifen, was geht.“ Über den Tag verteilt kamen noch einige Nachzügler ins Riptide: „Das war’s.“ Offenbar hat der Plattensammlertag etwas an Reiz verloren. 700 verschiedene Releases, sagt André, haben die Plattenfirmen eigens für diesen Tag angefertigt. Davon, so kann man sich im Internet schon vorher überzeugen, sind die wenigsten wirklich exklusiv und neu, das meiste sind Wiederveröffentlichungen. Und sie sind teuer: „Man muss überlegen: Bestelle ich das mit?“, sagt André aus der Sicht des Händlers. Da er die Stücke nicht zurückgeben kann, bleibt er im Zweifel auf ihnen sitzen. Manche Preise haben es echt in sich: So kostet eine einseitige 7“ von The The schon mal elf Euro und die ebenfalls einseitige 12“ der Chemical Brothers sogar satte 24 Euro. „Die Macher des RSD sind an Feedback interessiert“, sagt André. Immerhin das, doch: „Der Ursprungsgedanke des Record Store Day ist nicht mehr herzustellen.“ Ursprünglich ging es nämlich darum, unabhängige Plattenläden an einem Tag im Jahr mit solchen Exklusivveröffentlichungen zu fördern. Daraus entwickelte sich bald ein Tag, an dem Plattenfirmen und Weiterverkäufer ihre Vorteile suchen. Doch gibt es immer wieder Leute wie mich: „Manche Sammler kaufen sowas blind, da kann sonstwas für ein Preis draufstehen.“ Das kann ich nur bestätigen, ich finde ja jedes Jahr irgendetwas und achte erst zu Hause auf das Etikett.

Dabei fällt André etwas ein, das sich im Ritpide ab Mai ändern soll: „Wir haben dann sonntags geöffnet“, kündigt er an. „Wir bieten von 10 bis 15 Uhr ein Frühstücksbuffet an – vegetarisch und vegan, und ‚vegan‘ kannst du richtig groß schreiben!“ Nur am Satzanfang! „Wir geben uns viel Mühe, auch die Veganer zu bedienen.“ Wie das gelingen wird, erfahre ich dann ab kommender Woche.

Jetzt interessiert mich noch, wie die Gäste auf die weggefallene Raucherlounge reagieren. „Wir bekommen nur verhaltene Rückmeldung“, sagt André. „Viele denken, es ist noch der Raucherbereich, aber das fällt in unser Zutun.“ Es muss den Gästen also noch wohlvertraut gemacht werden, dass sich die Luft in der Lounge verändert hat. „Der Raum hat an Charme gewonnen“, stellt André grundsätzlich fest. „Aber noch versammelt sich alles hier“, sagt er und deutet auf die Sitzplätze im Hauptcafé.

Jetzt will ich aber schon wissen, wie die Gäste selbst das finden. Stefan bietet sich für diese Frage an, denn er hat einige Wartezeit neben mir am Tresen, weil André für die Antwort auf seine Frage erst den Telefonjoker ziehen muss. Die Frage dreht sich um Karten für den nächsten Poetry Slam Ende Mai, und André hat noch gar keine. Stefan ist Raucher, versichert er mir, also frage ich ihn, ob er das mit der weggefallenen Raucherlounge schon mitbekommen hat. „Das habe ich nicht mitgekriegt“, sagt er mit einigem Entsetzen im Blick. „Das ist fast ein Totschlagargument – hier konnte man noch rauchen und trinken!“ Mit dickgedruckt gesprochenem „und“. Immerhin könne man hier kurz vor die Tür gehen, „das geht auch“, lenkt er ein. André beendet sein Telefonat mit Pott, der seit Jahrzehnten die Poetry Slams in Braunschweig und drumherum organisiert, und gibt Auskunft: „Die Karten kommen am Freitag.“ Stefan dankt für Andrés Information, ist aber von meiner noch so geschockt, dass er Lara, die zufällig aus der Küche an den Tresen tritt, fragt: „Ihr habt echt den Raucherbereich dichtgemacht?!“ Die kennt die exakte Antwort und gibt sie in aller gebotener Ausführlichkeit: „Ja.“

Mit Blick auf mein !!!-T-Shirt erinnert sich André daran, dass er mir noch deren neues Album bestellen wollte. „Bin gleich wieder da“, sagt er nach Vollendung dieser Tat und macht einen Schritt zur Seite, hinter die Wand neben der Theke und raus aus meinem Blickfeld. An der Oberkante der Wand steht seit der Renovierung verschachtelt in die Architektur geschrieben ein Satzbeginn: „It’s better to burn out…“, aus Neil Youngs „Hey Hey My My“, das Teho Teardo und Blixa Bargeld zufälligerweise auf ihrer diesjährigen exklusiven RSD-EP „Fall“ coverten. So kurz nach Ostern ist es vielleicht angebracht, das Riptide nach dem fehlenden „…than to fade away“ abzusuchen; wer weiß, wo die Gastronomen es versteckt haben. Ich höre, dass André sich hinter der Wand mit jemandem unterhält. Das kann ja nur Chris sein, und tatsächlich, er kommt nun zum Vorschein, allerdings, um sich direkt nach unserer Begrüßung in seinen Feierabend zu verabschieden. Ich schließe mich ihm an, aber nicht, ohne zu zahlen und die Mai-Intro mitzunehmen.

Im Herman’s treffe ich später unter anderem Schepper, der im Riptide den Bass-Stammtisch ausrichtet, und der ist von der rauchfreien Lounge begeistert. „Wir sitzen am großen Tisch, das ist ganz angenehm für uns ältere Tieftöner, weil wir nicht mehr auf den Sitzwürfeln rumlungern müssen.“ Ihm gefällt die neue Gestaltung der Lounge: „Ist schön geworden.“ Und eben auch das Rauchfreie: „Merkt man gleich, ist was anderes, wenn man die Tür aufmacht.“ Outburnen können die Raucher auch im Achteck zwischen den Cafésegmenten, so wird der Rauch aus der Lounge schon bald awayfaden.

Matze van Bauseneick
www.krautnick.de
Fakebook

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