#159 Sankt Riptide

Freitag, 4. Dezember 2020

Das Magniviertel ist festlich geschmückt, es ist Adventszeit, es geht auf Nikolaus zu, quer zwischen Häusern aufgespannte Lichterketten erhellen die Straßen, mit Kugeln, Tand und Tinnef versehenes Nadelgehölz fristet ein entwurzeltes Dasein hinter Fenstern – typische Vorweihnachtszeit also, wäre da nicht der Umstand, dass die hetzenden Kunden diesen Spätherbst maskiert sind und dass sie ihre Pausen nicht wie sonst in Gastronomieeinrichtungen verbringen können. Denn noch immer hat das Virus die Welt im Griff und dieser Tage noch viel heftiger als im Frühjahr. Nicht nur Pflegepersonal und Intensivstationen sind davon betroffen, auch der Rest der Gesellschaft ist einem Umgang mit der Pandemie unterworfen, der die Normalität aufbricht und immerhin die meisten Menschen behutsam und erfinderisch sein lässt.

Behutsam und erfinderisch richtet sich auch Chris darauf ein, den Betrieb im Café Riptide nicht zum Erlahmen zu bringen: Essen und Getränke gibt es zum Mitnehmen, Platten auf Bestellung sowie Zeit, im Laden zu stöbern, nur für höchstens zwei Kunden gleichzeitig. Für heute sind wir verabredet, nach seinem und meinem Feierabend, um das Jahr reflektiert ausklingen zu lassen. „Wir haben den ersten Glühwein ab heute“, begrüßt mich Chris. Das Café schließt sich mit seiner stimmungsvollen Beleuchtung an die vorweihnachtliche Variante im Viertel an, nur dass das Stimmungsvolle im Riptide nicht zwingend jahreszeitengemäß, sondern permanent gegeben ist: Gedimmte Lichter, warme Atmosphäre, und nun zum Außer-Haus-Verzehr also auch Glühwein, den Chris und Chefkoch Nico anbieten, „handgemacht“, wie Chris betont.

Neben den Platten liegt ein Karton mit dem Cover von „The Number Of The Beast“ von Iron Maiden, der meinen Blick ablenkt, und darin ist mitnichten die Vinyl-Version als Special Edition enthalten, sondern ein Puzzle. „Als Geschenk“ gehen die zurzeit gut, sagt Chris. Er weist darauf hin, dass diese Puzzles nicht eben leichter sind als herkömmliche, nur weil da Plattencover drauf abgebildet sind, und deutet auf die vielen Flammen auf dem Motiv, ebenso wie bei „Seasons In The Abyss“ von Slayer. Die „Seventh Son Of A Seventh Son“ von Maiden kaufte kürzlich auch jemand, und Chris weiß um die Schwierigkeit dieses Motives: „Alles blau!“

Daneben errichtete Chris einen Aufsteller mit Holzrahmen, die ein Tischler, der anonym bleiben möchte, als Spende anfertigte. Auf dem Bild in den Rahmen sieht man Mr. Spock, mit dem vertrauten Spruch „Live long and prosper“ versehen, von dem Chris findet, dass er sehr gut in diese Zeit passe. Diese Rahmen sollen nach Vorstellung des Spenders für zwischen zehn und 20 Euro in frei gewählter Höhe verkauft werden, zugunsten des Fortbestands des Café Riptide.

Wir betreten das erste Geschoss, schlendern ganz nach hinten, an die Fenster zur Straße. Chris setzt sich aufs Sofa, das Sofa, das schon im Handelsweg einen solch exponierten Platz hatte, und ich mich ihm gegenüber. Den schmerzlichen Gedanken, der sich jetzt einstellt, möchte ich gar nicht vertiefen: Ich hatte mich darauf gefreut, im Winter genau hier in der Sofaecke zu lümmeln, Kaffee zu schlürfen und auf die womöglich indigoblaue Dämmerlichtstraße zu blicken. Geht alles nicht, und wir wissen, warum; ich genieße es daher jetzt in diesem Augenblick, Chris dort vor der roten Wand und unter der matt leuchtenden Lampe sitzen zu sehen, als wäre alles normal. Für eben diesen Augenblick ist es das auch: Es ist urgemütlich im neuen Riptide, ein schöner Ausblick auf das, was kommt, sobald es dereinst möglich ist.

Üblicherweise quetsche ich Chris aus, nach Neuigkeiten rund ums Café, aber für dieses Mal dreht Chris den Spieß um und befragt mich; daraus ergibt sich ein Gespräch, bei dem Fragen und Antworten verwischen, alles fließt. Chris‘ erster Gedanke betrifft meinen Umgang als „kulturaffiner Mensch“ mit dem Umstand, dass „Kultur, Konzerte, Kino, Partys, Menschen, Massen“ in diesem Jahr wegfielen. Zunächst hoffe ich inständigst, dass dieser Zustand nicht von Dauer sein wird, und gehe also davon aus, dass das von mir so gern wahrgenommene von Chris skizzierte Leben sich bald wieder einstellen kann. Dafür, dass sich eine Pandemie nicht weiter ausbreitet, nehme ich es in Kauf, darauf zu verzichten. Zudem bin ich auch ohne all das nicht komplett ohne Kultur: Ich lese Bücher, kaufe und höre Platten, gucke mir gelegentlich sogar Filme zu Hause an, und außerdem ergaben und ergeben sich neue Möglichkeiten, Kultur wahrzunehmen oder auch anzubieten. Die Indie-Ü30-Party beispielsweise verlegten wir Dank Claudy Soundschwester vom Nexus auf Radio Okerwelle, was ohne die Einschränkungen vermutlich gar nicht erfolgt wäre; dort sind wir am 9. Februar wieder zu Gast. Und mit Rille Elf hatten wir viermal die Gelegenheit, draußen aufzulegen, zweimal mit den Stadtfindern beim Lichtparcours und zweimal am Strand von Harrys Bierhaus. Dort schlug uns jeweils eine so erhebliche Dankbarkeit von den Gästen entgegen, dass man glauben kann, dass ein Ausdünnen an Programmen die Menschen offenbar sensibilisierter für kulturelle Angebote an sich macht.

Und einige Aufträge – etwa meine Interviews für das Kurt-Magazin oder für Dein Wolfsburg – ließen sich unkompliziert telefonisch erstellen, was im Falle von Kurt ohnehin die Regel ist. Ebenso unbeeinflusst sind die Fotoaktionen, wenn Andrea und ich Veranstaltungsflyer in Szene setzen; das geschieht ohnehin zu zweit. Auch meine Rezensionen für Krautnick setzte ich ungebremst fort, schließlich veröffentlichten Leute wahlweise trotz oder gerade wegen Corona unablässig neue Musik. Sehr umtriebig sind da meine virtuellen Freunde rund um Anton vom Moskauer Label addicted/noname, die mich zudem im April zu einer Online-Video-Radio-Show einluden – was ein Spaß mit solch sympathischen Leuten!

Authentizität als Rezensent ist Chris und mir wichtig, nicht schlichtes Lobhudeln um der Plattenfirmen willen oder gar einfach den Waschzettel abschreiben. Chris trägt nämlich seit Jahren Rezensionen fürs Subway bei, und dort bestätigte man ihm, dass er eine Platte auch verreißen dürfe, wenn dies seinem Empfinden entspräche. Auch als Plattenverkäufer nehme er sich dieses Recht, und ich denke, dass ich ihm dann als Kunde auch noch mehr vertraue, wenn ich weiß, dass er in seinen Empfehlungen ehrlich ist. Damit hat das Riptide als Plattenladen eine Qualität, die Chris auch bestätigt bekommt: Ein Kunde aus Berlin, aus Berlin!, etwa attestierte dem Riptide eine zwar kleine, aber ausgezeichnete und geschmackssichere Auswahl, nicht so willkürlich wie bei ihm daheim, die sicherlich dem etwas geringeren Platz geschuldet ist, aber auch Chris‘ Expertise zur Grundlage hat. „13 Jahre sieben“, sagt Chris und wirft damit zunächst ein Rätsel auf; er vergenauert, dass er den Bestand an Platten im Laden nach 13 Jahren mal aussieben will, um die Qualität seines Angebots noch weiter anzuheben.

Auch Chris profitierte von den Möglichkeiten, die das Streaming als Alternative zur Bühne anbot, etwa mit dem Benefizkonzert auf Instagram, stellt aber wie ich fest: „Es fehlt etwas.“ Ebenso bei den Autokonzerten, die im Sommer stattfanden: „Es ist das Ende der Kultur, aber besser als nix.“ Das Miteinander als Publikum vermissen wir dabei beide. Ein nicht vorhandenes Publikum kann aber auch Druck nehmen: Als Henrik und ich für die letzte Indie-Ü30-Party ausschließlich Songs spielten, die wir noch nie zuvor im Programm hatten, mussten wir keine leere Tanzfläche fürchten, weil ein Song vielleicht mal nicht zündete. „Wie war das?“, fragt Chris, und ich stellte fest, dass ich diese Party für mich wieder frisch und neu entdeckte, weil wir natürlich im Nexus ansonsten viele Hits wiederholten, weil wir wissen, dass sie gewünscht sind und erwartet werden, und weil wir uns auch als Dienstleister auffassen, die sich selbst wünschen, dass die Leute zufrieden nach Hause gehen, und uns dann mit ihnen über Songs freuen, die wir so gut wie immer im Repertoire haben. Jetzt erweiterten wir jenes Repertoire um 40 Songs, bei denen sich einige Hörer und wir selbst fragten, wie wir all die Jahre nur ohne sie ausgekommen sein konnten. Dabei war es ohnehin bei jeder der 27 Partys mein Wunsch und Vorgehen, mindestens ein halbes Dutzend für uns neue Songs einzubauen. Und so erlebten Henrik und ich also nach 13 Jahren die Party nochmal neu – und überlegen nun, nächstes Mal bei Radio Okerwelle als Steigerung nur Songs zu spielen, auf die wir selbst Bock haben, unabhängig von ihrer Partytauglichkeit.

Das Internet als Kulturersatz stellt sich Chris und mir zwar als willkommene Option dar, aber nicht als langfristig wirkungsvoller Ersatz. Und Chris kennt Beispiele dafür, wie das Leben auch ohne Internet funktioniert: Als er kürzlich einem Gast, der ein sich ein besonderes Heißgetränk zur Mitnahme wünschte, eine von Nico gemixte Lebkuchenbombe in die Hand drückte, sprach sich dies „von Mund zu Mund“ im Viertel so weit herum, dass noch an dem Tag ein halbes Dutzend Gäste danach fragte – und die Lebkuchenbombe jetzt offiziell auf der Karte steht.

Und auch, wenn der Beschränkungen wegen zurzeit weniger Kundschaft zu bedienen ist, hat Chris zu tun, nicht nur die Karte erweitern: „Sachen streichen, ein Regal bauen, das nicht zur Eröffnung fertig geworden ist, LP-Hüllen austauschen, alt gegen neu“, zählt er auf. „Da hätte ich sonst nicht die Zeit für“, sagt er, und sinniert mit Blick auf die Lage: „Was Positives draus machen.“ Seine Mitarbeiter sind bis auf Nico in Kurzarbeit, aber Chris hält regelmäßigen Kontakt zu allen, fragt wie es ihnen geht. „Das Team findet sich“, sagt er, „das sind alles tolle Leute, ich will es beisammenhalten, und ich hoffe, dass es ihnen wirtschaftlich und privat gutgeht.“ Was für ihn seit dem Umzug neu ist: Er hat erstmals Vollzeitkräfte eingestellt, und da ist die Personalplanung ganz anders. Dafür hat er aber Spezialisten im Team, an die er Aufgaben verteilen kann, wie Urlaubsplanung, Vertretungsregelungen und ähnliches.

„Die Pandemie lässt uns neue Wege finden“, bemerkt Chris gesamtgesellschaftlich. Etwa, wie Firmen mit Zoom-Konferenzen und Homeoffice Geld einsparen können, ohne Mitarbeiter entlassen zu müssen. Bedenken hat er bezüglich der „mentalen Gesundheit“, die womöglich erst in einigen Jahren offenbart, „was es mit den Menschen gemacht hat“. Was bis vor einem Jahr selbstverständlich war, ist es heute nicht mehr. Online-Kauf etwa, fährt Chris fort, sei eine Gefahr für Plattenläden, und er bedauert dies nicht nur als Plattenhändler, sondern auch als Kunde: „Ein Plattenladen ist ein Ort der Kommunikation.“ Beispielhaft berichtet er von zwei Kunden der jüngeren Zeit, von denen einer die Band Waving The Gun suchte und der andere Pink Floyd, und die sich beide über den Geschmack des anderen freuten und darüber ins Gespräch kamen. Natürlich ist so etwas auch online möglich; ich erinnere an die Whatsapp-Gruppe, die Ollo eigentlich für die Stammkunden seines Café MokkaBär ins Leben gerufen hatte, um Veranstaltungen zu teilen, und die wir jetzt wöchentlich nutzen, um uns an unserem Stammtag virtuell zu treffen. Immerhin dies, aber wir wissen, dass das eben nur eine temporäre Lösung sein kann, kein Ersatz, nur eine Alternative. Chris und ich sprechen über den Record Store Day, doch dann hat er ein dienstliches Treffen, und er beschließt unsere herzliche Zusammenkunft mit: „Plattenladentag ist für mich jeden Tag.“

Eigentlich würde ich jetzt das Gespräch mit anderen Gästen suchen, wie ich es im Dezember traditionell unternehme, um allen dieselbe Frage zu stellen, jährlich eine andere. Da dies bekanntlich in diesem Dezember nicht möglich ist, wir aber in Zeiten hoher Technisierung leben, greife ich auf das Internet zurück, wie so viele seit Anbeginn der Pandemie. Ich erinnere mich, wem ich in diesem Jahr im Riptide begegnete, geplant und ungeplant, und von wem ich elektronische Kontaktdaten habe, und schreibe sie alle einzeln an, mit der Erläuterung meines Vorhabens und der Bitte, etwas dazu zu verfassen und mir zukommen zu lassen. Meine Absicht ist dabei etwas zweischneidig: Mir ist bewusst, dass wir in Zeiten einer lebensbedrohlichen Pandemie leben, mir liegt es fern, das Leid Infizierter oder Angehöriger kleinzureden. Mein Anliegen ist es, Mut zu machen, zu ermuntern, den Blick auf das Gute zu richten. Deshalb stelle ich allen Angeschriebenen meine Frage:

Was war 2020 für Dich trotzdem gut, welches Positive wäre Dir ansonsten vielleicht nicht möglich gewesen?

Chris und ich thematisierten dies in unserem Gespräch schon, jetzt seid Ihr dran. Danke Euch allen, die Ihr mir antwortetet! Auch denen, deren Replik derart persönlich ausfiel, dass sie sie zwar gern an mich richteten, aber nicht für die Öffentlichkeit vorsahen – das weiß ich zu schätzen und zu schützen. Ich freue mich, die gesammelten Antworten hier wiederzugeben, und zwar wertfrei sortiert nach Posteingang in meinem Email-, Facebook-, Instagram-, Signal- oder Whatsapp-Fach:


Sascha

Hej Matze,

was war für mich positiv im Jahr 2020? Gar nicht so einfach weil, um einen herum so viele negative Vibes herrschen. Im Hintergrund betrachtet, hat mich meine Arbeit als Krankenpfleger hart angestrengt mit all den neuen Anforderungen und lässt mich heute sogar manchmal mit einem Berufswechsel gedanklich spielen (weil „Beifall klatschen“ einfach nicht reicht). Klar, alles nötig, alles nachvollziehbar, aber alles eine schier unendliche Belastung, die nicht einfach für unsere gesamte Familie ist. Vor allem mental bis an die Grenzen geht. Darum schwanke ich manchmal und lebe vom Mut machen der Familie, Freunde und natürlich meiner Partnerin und letztendlich meiner Kinder.
Was hat mit Mut gemacht?
Ich könnte eher fragen, warum war ich so mutig? Ich habe mich in dieser wilden verrückten Zeit im April/Mai diesen Jahres selbstständig gemacht, und das war nur möglich durch das Mut machen und das Unterstützen, das an mich glauben meiner Lieben um mich herum. Seien es die Freunde gewesen, die gesagt haben: Hej mach das, du schaffst das. Oder Sarah, die mich hier schier damit unterstützt hat, mich so zu nehmen, wie ich war… busy, abwesend, gedanklich woanders, eigentlich zu nichts zu gebrauchen, da ich komplett in der Planung und Aufbau meiner Geschäftsidee war. Sie hat das alles verziehen. Ich habe alles vergessen, schrieb hier gefühlte 100 Emails und dort bastelte ich Flyer, machte Fotos, Briefköpfe, Aufkleber, machte hier und dort etwas, war aber nie im Hier und Jetzt und nickte manchmal nur noch, ohne wirklich zugehört zu haben.
Das war bestimmt nicht einfach, dennoch wurde mir das nie negativ geredet. Nein, Sarah hat an mich geglaubt und immer an mich geglaubt, auch, als ich alles hinschmeißen wollte, als ich Muffe bekam. Auch die unglaubliche Hilfe von Lars, ohne den ich es grafisch nie hinbekommen hätte. Er hat alle meine Logos entworfen und selbst gezeichnet, immer und immer wieder. Er und seine Freundin Mellissa haben immer wieder drüber gesehen und verfeinert.
Meine Kids haben mich befeuert, weil sie den verrückten Papa mit seiner Erfindung ermutigt haben.
Mut hat mir gemacht, dass ich Marc kennen gelernt habe, bei Chris im Laden. Neue Freunde, neues lachen. Auch Enno mag ich super gerne und ich freue mich immer, wenn ich ihn sehe. Beide sind coole Typen, die ich unter anderen Umständen nicht kennengelernt hätte.
Mein familiärer Zusammenhalt hat mit Mut gegeben, klar, der war schon vorher da… aber die Wichtigkeit wurde mir noch einmal deutlicher und eindrücklicher in dieser Zeit. Es wirkt eben nicht mehr selbstverständlich… sondern ich besinne mich darauf, dass es noch besonderer für mich ist, weil man sie hat und es sie gibt und jede Hilfe, jede Unterstützung etwas Besonderes ist.
Durch meine kleine Firma Spachtelkiste habe ich so coole Menschen kennenlernen dürfen, das fand ich 2020 einfach toll und macht mir Mut. Ich habe Geschichten zugeschickt bekommen von Leuten, die mit meiner Mobilen Campingküche kleine Reisen (Coronakonform) angetreten sind und echte tolle kleine Abenteuer erlebt haben und ein kleines Stück heile Welt hatten. Das hat mich unglaublich gefreut. Auch Steph und Martin von Hotzenplotz-Adventures.de, die mich einfach mal zu einer kleinen Messe eingeladen haben, um mir zu zeigen, wie der Hase so läuft und worauf ich achten muss. Mit ihren Tipps und Tricks bin ich nun etwas sicherer unterwegs.
Ich konnte aufgrund dessen, dass die Menschen mein Produkt toll finden und es kaufen, mittlerweile aus der kleinen Garage meines Vaters (vielen Dank nochmal für die Bereitstellung, Senior!) in meine Kreativwerkstatt umziehen. Ein kleiner ehemaliger Schweinestall in Bortfeld. Auch über die Familie organisiert. Wäre ich ohne Family auch wieder nicht weitergekommen…
Andre, den ich immer liebevoll meinen Tischler nenne, ist der Partner meiner Cousine, und nur durch seine Hilfe kann ich mein Geschäft betreiben. Ohne Holz keine Spachtelkisten… auch wieder Familie. Es ist alles ein Kreis und ich weiß nicht, wie es wäre, wenn jemand aus diesem Kreise fehlen würde.
Darum versuche ich, positiv zu denken und gesund zu bleiben… und nie vergessen, mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen geht alles irgendwie etwas leichter, sag ich mir. Und wenn ich das mal vergesse, dann sagt mir das jemand von meinen Lieben.


Roberta

Es gab viel Positives in 2020.

Zu allererst, meine Familie, Freunde und ich selbst sind gesund – ich hoffe sehr, dass es so bleibt. Deshalb hier an alle die Bitte: Haltet Euch an die Vorgaben der Bundesregierung. Vermeidet es möglichst, Euch mit anderen direkt zu treffen, geht keine unnötigen Risiken ein, nicht in dieser Zeit. Meine Parole: Einfach noch ein bisschen durchhalten, bitte. Für uns alle.

Das Zweite: Ich leide keinen Hunger, habe ein Dach über dem Kopf und einen Job, mit dem ich meinen Unterhalt bestreite.

Und Drittens: Auch wenn dieses Jahr einiges anders war für mich als die Jahre davor (ich hatte z.B. keine einzige Ausstellung, in 2019 waren es dagegen ein Dutzend) und ich deshalb finanzielle Einbußen hatte, gab es doch auch viele tolle, berufliche Momente: Mein drittes Sachbuch „Die Praxis des Gestaltens“ ist im März erschienen, mein Podcast „Der kreative Flow“ ging weiter und ich hatte sehr tolle Gäste, z.B. Judith Holofernes von „Wir sind Helden“, Regina Kehn und Illute. Ich habe drei Sketchwalks im Rahmen des „Braunschweiger Lichtparcours“ angeboten und insgesamt 30 Leute haben unter meiner Leitung im Freien etwa zwölf Stunden gezeichnet, natürlich unter Einhaltung der Corona-Bestimmungen. Und ich habe mit Hilfe von Startnext und 25 Unterstützern mein erstes Hörbuch „Die Zeitkapsel“ mit eigenen Kurzgeschichten produziert und selbst veröffentlicht (> als CD, gibt es z.B. im Riptide auch als „Take away“ und als Podcast > überall, wo es Podcasts gibt). Und das war auch etwas, das ich ohne Corona-Pandemie nicht umgesetzt hätte (um auf Deine Frage zurückzukommen, lach!): die Vertonung meiner Kurzgeschichten. Denn das war irgendwie eine Art Übersprungshandlung, weil mir im April/Mai einige Jobs weggebrochen waren. Und so konnte ich auch 15 Schauspielern/Sprechern etwas unter die Arme greifen: Sie hatten was zu tun, nämlich meine Geschichten einzusprechen, und ich konnte ihnen eine kleine Aufwandsentschädigung durch das Crowdfunding bei Startnext zahlen.

Insgesamt war 2020 ein mega ereignisreiches und aufregendes Jahr – das, was ich erlebt und gefühlt habe, reicht locker für fünf Jahre (lach!).


Fehime

Ich persönlich konnte der Zeit viel viel Positives abgewinnen. Mit Basti habe ich viel mehr Zeit verbringen dürfen, habe mein/unser Zuhause, ja sogar jeden Winkel unserer Wohnung genießen und den Sommer auf dem Balkon auskosten können….auch neben der Arbeit im Home-Office. Das ist nämlich für mich die zweite positive Veränderung. Bisher war die Arbeitskultur stark von der reinen Anwesenheit geprägt, welche gleichbedeutend mit Leistung und Engagement gesetzt wurde. Dies hat sich aus meiner Sicht in eine ergebnisorientiertere Arbeitswelt gewandelt. Managern der alten Schule ist bewusst geworden, dass eine Zusammenarbeit auf Distanz möglich ist. Ihnen wurde vor Augen geführt, dass Vertrauen in die Mitarbeiter wichtiger ist als deren „Kontrolle“ und physische Anwesenheit.

Des Weiteren hat mir die Zeit mit Corona gezeigt, wie essentiell Freundschaften sind. Mit guten Freunden sind wir emotional enger zusammen gerückt.

Ich weiß nicht, ob unsere Welt nach Corona so sein wird wie vorher. Denn ich stelle fest, neben der neuen Arbeitswelt haben sich neue Produkte und Gepflogenheiten etabliert. Ein gutes Beispiel ist für mich das Thema Urlaub. Früher sind viele von uns – wenn möglich – weit weg geflogen. Das geht nicht mehr so einfach, sodass die meisten im letzten Sommer Deutschland und angrenzende Länder bereist haben. Die Vorzüge, einfach mit dem Auto in den Urlaub zu fahren und nicht stundenlang im Flugzeug sitzen zu müssen, wurden neu entdeckt. Auch wir haben diesen Sommer Freunde in Österreich besucht, die wir jahrelang nicht mehr gesehen hatten. Sonst wären wir wahrscheinlich auf einem fernen Kontinent gewesen und Corona hat uns zu diesen lieben Menschen geführt.

Für mich hat Corona Entschleunigung gebracht…und ich wünsche mir für mich, diese später noch beibehalten zu können. Ich könnte noch viel mehr positive Veränderungen aufzählen, wie beispielsweise den Support des lokalen Handels, innovativen Geschäftsmodellen oder der Hilfsbereitschaft unter den Mitbürgern. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass zahlreiche Menschen schlimmes Leid erleben mussten. So hoffe ich, dass die Zukunft für uns alle eine Kombination aus Gesundheit und den positiven Veränderungen wird!!!!


Hardy

Corona Kultur positiv?

Für mich als freiberuflicher Schriftsteller, der zum nicht unerheblichen Teil auf Honorare für Lesungen und Dozententätigkeiten angewiesen ist, sind die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus‘ fast existenzbedrohend. Hätte ich keine finanzielle Hilfe vom Land Niedersachsen und von der Stadt Braunschweig bekommen, im November auch vom Bund, hätte es für 2020 sehr düster ausgesehen. Wie es im nächsten Jahr weitergeht? Wann ich wieder anfangen kann, überhaupt etwas zu planen? Keine Ahnung.
Angst macht mir aber nicht nur das Virus – ich arbeite zum Glück nicht in einem potentiellen Hotspot –, sondern gerade auch die Leute, die selber so große Angst haben, dass sie in panikartige Dummheit verfallen und die Gefahr, die von der Seuche ausgeht, einfach wegleugnen. Auch das rasante Fortschreiten der Digitalisierung und das beschleunigte Sterben der Innenstädte durch die Pandemie sind für mich mit negativen Vorzeichen besetzt.

So bleiben jedenfalls meine positiven Erfahrungen der letzten Monate eher spärlich. Gut, ich war seit März nicht mehr krank, kein Schnupfen, Husten, Heiserkeit, Halsschmerzen, nichts. Das ist durchaus positiv. Auch, dass ich mich gezielter mit einzelnen Freunden getroffen habe als vorher, könnte man dazu zählen. Und im Sommer haben wir uns den Lichtparcours an der Oker angesehen, das war schon ein Highlight, nicht nur wegen der Kunstobjekte, sondern auch wegen der Menschen, denen wir auf dem Parcours begegnet sind – Schwätzchen mit einer Frau aus Dortmund, Wegbeschreibung für die Gäste aus den Niederlanden, Witzeln mit mir unbekannten Braunschweigern. Und alles mit einem angenehmen Abstand. Genau wie im Staatstheater Großes Haus, »Frankenstein«, vor uns neben uns hinter uns Sitzplätze, die frei bleiben mussten. Kein Tuscheln, kein Knistern, kein Hüsteln, nichts störte den Kunstgenuss. Oder ein Stück der Komödie am Altstadtmarkt, das unter freiem Himmel in der Konzertmuschel im Heinrich aufgeführt wurde; die Reihe »Mörderisches KULT«, die in Braunschweigs kleinstem Theater das Licht der Corona-Welt erblickte; das Riesenrad, das plötzlich auf dem Platz der Deutschen Einheit stand; Lesungen, hinter Spuckschutz im Café Riptide oder vor einem maskierten Publikum in der Buchhandlung Benno Goeritz; also, unsere menschliche Kreativität, die oft nur zur Gewinnmaximierung eingesetzt wird, jetzt aber auch dafür, das ein kulturelles Leben überhaupt stattfinden kann, das finde ich schon positiv. Ach, und das ich jetzt so viel Knoblauch ins Essen hauen kann wie ich will – egal, ist ja Maskenpflicht –, das ist toll!


Claudy

Was war 2020 für Dich trotzdem gut?

Wie, trotz was?
Ach so, wegen dem Wort mit C… Du weißt schon, trotz DEM!
Naja…

Gut in 2020 war für mich, dass ich einen Einschnitt in meinem Leben erleben durfte, der mich aus allem Vertrauten herausgeworfen hat und der meine ganze Routine, ja sogar mein bisheriges Selbstbild komplett in Frage gestellt hat.
Vor allem war meine Partyroutine auf Eis gelegt und damit fehlt/e mir die Möglichkeit, mich vom eigentlich Wichtigen und Wesentlichen abzulenken!
Denn als DJane für diverse Partys und Veranstaltungen hier in der Region war ich bisher an den Wochenenden sehr ausgelastet, und auch wenn das Auflegen finanziell mein zweites Standbein war, konnte ich dennoch auch gut ohne DJ-Aufträge klarkommen. Das tat mir jetzt eine Weile ganz gut, vor allem mental. Klar mache ich damit weiter, sobald es geht. Aber mit einer neuen Einstellung.
Was ist das eigentlich Wichtige und Wesentliche?
Direkte menschliche Beziehungen, freundliche Nähe, ruhiges Miteinander, konzentrierter Austausch, ein friedliches Miteinander in einer gemeinsamen Kultur.

Welches Positive wäre Dir ansonsten vielleicht nicht möglich gewesen?
Ich lernte neue technische Möglichkeiten kennen, wie ich online Menschen kontaktieren kann, wir haben z. B. online eine neue Familiengruppe und darin ganz NEU: Alle in der Familie lassen sich ausreden! Es gibt auch mehr Zeit für persönlichen Austausch zu zweit oder in kleineren Gruppen.
Ich gehe viel öfter spazieren oder tanze ein meinem großen Raum im Haus. Ich habe angefangen, mehr zu kochen, oder bastel sogar mal was. Ich habe interessante neue Kontakte gewonnen, alte Freundschaften bekommen eine neue Tiefe. Auch die seltenen Besuche in Restaurants und Cafés weiß ich nun mehr zu schätzen. Und ich wäre nie im Vorstand des Vereins gelandet, in dem ich nun bin. Also engagiere ich mich auch ganz neu.


Sylvia

2020 – ein total verrücktes Jahr – was war trotzdem gut?

Ich habe 2020 total viel vermisst, mein sonst übervoller Kalender mit kulturellen Höhepunkten ist seit dem Frühjahr gähnend leer – Konzerte, Lesungen, vor allem Kino fehlen mir schmerzlich, das gemeinsame Erleben mit Anderen.

ABER: Am wichtigsten ist meine Familie! Ich habe drei großartige Kinder, meine beiden Jungs leben mit Familie in Braunschweig, meine Tochter in Hannover. Ich habe sieben (!) Enkel, die beiden Jüngsten wurden im Sommer geboren. Alle haben ihre Kontakte gezwungenermaßen reduziert, dadurch sind wir noch mehr zusammengerückt. Das ist ein großes Glück und, wie ich von Freunden und Bekannten weiß, nicht selbstverständlich.

Und ich habe mich über jedes noch so kleine Event gefreut, das trotz Corona und dank riesiger Bemühungen stattfinden konnte. Ohne eins besonders zu erwähnen: Noch nie habe ich Besucher aller Altersstufen dermaßen glücklich und fast schon beseelt erlebt, selten so nette Begegnungen gehabt, trotz Abstand, mit völlig Fremden!

UND: Noch nie war ich so oft im Riptide, auf dem schönen Magnikirchplatz! Ganz bewusst, weil das Riptide bleiben muss!!! (xy: „Wollen wir uns mal wieder auf einen Kaffee treffen?“, ich: „Gern, aber nur im Riptide.“).

Ich kann es nicht erwarten, wenn wir uns alle wieder „richtig“ treffen können, ich möchte meine lieben Leute wieder umarmen dürfen!!! Und ich kann keine digitalen Events mehr ertragen!


Schepper

2020… was für ein irres jahr…
und trotzdem gibt es auch etwas gutes zu berichten.
da ich ja zu den sogenannten risikotypen gehöre, verbringe ich halt die zeit allein in meiner wohnung. okay, dann brainstorme ich mal:

gut ist, dass meine freunde für mich da sind und mich versorgen.
gut ist, dass ich eine so liebe schwester habe und dass sie so einen lieben freund hat.
gut ist, dass ich jeden tag mit meiner mutter telefoniere.
gut ist, dass sie alle gesund sind.
gut ist, dass ich gemerkt habe, wie wichtig mir alle sind.
gut ist, dass ich große dankbarkeit empfinde.
gut ist, dass matze die welt draußen für mich photografiert.
gut, dass es telefon und internet gibt.
gut ist, dass ich dinge viel mehr wertschätze als vorher.
gut ist, dass ich mit viel weniger auskomme.
gut ist, dass ich meine kochrezepte verbessert habe.
gut ist, dass mir niemals langweilig wird.
gut ist, dass mir bass-spielen solchen spaß macht.
gut ist, dass mir immer noch was neues einfällt.
gut ist, dass meine freunde nicht durchgedreht sind.
gut ist, dass ich coole neue und alte bands entdeckt habe.
gut ist, dass ich immer noch optimistisch bin.
gut ist, dass ich die hoffnung nicht aufgebe.
gut ist, dass ich gerne alles klein schreibe
gut ist, dass ich noch lebe…
gut ist, dass das riptide noch da ist.
gut ist, dass wir uns bestimmt bald alle wiedersehen.
gut ist, dass mir so viel gutes eingefallen ist.
gut ist, dass ihr bis hier alles durchgelesen habt 🙂

love + peace und bleibt munter


Maren

Im März 2020 wurde die Handbremse meines Hamsterrads gezogen. Ich habe mir erstmal – wie immer, wenn mir alles zu viel wird – noch mehr auf die Agenda gepackt, denn mir war klar (ein bisschen kenne ich mich inzwischen ja schon…): Wenn ich jetzt radikal runterschalte, dann falle ich wahrscheinlich erstmal um und stehe so schnell nicht wieder auf. Also war der Plan, den Prozess des Umfallens in die Länge zu ziehen und mich dann auch schneller wieder aufrappeln zu können. Und das hat geklappt. Meine erste positive Erkenntnis ist also: Ich kann mittlerweile besser mit Krisen umgehen.

Irgendwann im Frühsommer war zwar auch der Punkt da, an dem nichts mehr ging, aber das war in Ordnung. Ich habe mir erlaubt, auch einfach mal nicht zu funktionieren. Und dann habe ich mir die Zeit, die ich sonst so nicht gehabt hätte, genutzt, um mir mal in Ruhe anzuschauen, wie ich gerade so unterwegs bin, auf allen Ebenen: körperlich, mental und emotional. Ich habe überlegt und beobachtet und vor allem: geschrieben. Nach einer Weile hat sich das Geschriebene verändert und es haben sich langsam Erkenntnisse herauskristallisiert: Unzufriedenheiten, Wünsche, Sehnsüchte und schließlich: Pläne.

Ich liebe Pläne. Und Listen…Pro und Contra…die ganze Nacht. Alles wieder verwerfen. Und nochmal von vorn. Im Sommer gab es zur Belohnung dann auch ein klein wenig Unbeschwertheit im neueröffneten Riptide, welches jetzt nur noch gut zehn Minuten zu Fuß von meinem Zuhause entfernt ist. Manchmal sind Veränderungen richtig gut.

Das Jahr geht zu Ende und ein paar der Pläne werden konkreter, gehen langsam in die Umsetzung. Ich habe 2020 viel gelernt, über mich und über andere Menschen mit teilweise sehr anderen Meinungen, mich über vieles gewundert, immer wieder gestaunt über mich und andere…also eigentlich alles wie immer, nur in diesem Jahr in der Intensität ein paar Level hochgedreht. Das Jahr war scheiße anstrengend…hat mich aber auch mächtig nach vorne gebracht.

It’s been one hell of a ride, hasn’t it?


Harald

Oh ja, das – nun – alte Jahr war aber mal ein wirklich neues… Dabei fing es so groß an, hatte ich doch kurzfristig den Eindruck, die Weltherrschaft der Künstlerseelen stünde unmittelbar bevor— damals, vor Jahren, eigentlich knapp einem: in diesem Januar, als wir fünf an dem Abend, an dem ich Arni und dich, Matze, kennenlernte, sofort einen fulminanten Sieg im Genial Großen Geistesduell errangen. (Lies ggf. deinen Blog #148, aber ich glaube, du erinnerst dich.) Tja. Ein volles Jahr. Von obigem Rausch und ernüchternder Realität zweier aufeinanderfolgender Quizabende – ein wahrhaft bipolares Erlebnis – über die kontemplative Ungewissheit menschenleerer Kleinstädte bis hin zu neuen, wichtigen Anschüben, Ansätzen, Antrieben für mehr als ein nächstes Jahrzehnt. 2020 halt. Als weitestgehend Verschonter und zwischenmenschlich Bereicherter möchte ich dieses absolute Ausnahmejahr nicht missen (es würde auch irgendwie im Kalenderfach fehlen). Ich habe tatsächlich gelernt, online mit Freunden wie auch völlig Fremden Stimmungsvolles mehrstimmig zu singen (unbestimmt latent), und habe erkannt, dass ich systemrelevant bin (wusste ich vorher schon, hatte mir aber nie jemand geglaubt, bevor es tatsächlich gefährlich wurde, systemrelevant zu sein). Ich habe eine Hochzeitsfeier liebevoll geplant und ebenso um unbestimmte Zeiträume verschoben wie den 90. Geburtstag meiner Mutter, eine weitere, sozusagen, ausgelassene Feier; und trotzdem. Trotzdem ist meine Mutter jetzt im Dinner-for-One-Alter und hat eine taufrische Schwiegertochter. Es geht ja alles. Ich komme auch schneller zur Arbeit, seit wir gelernt haben, dass Anwesenheit nicht immer nötig ist und häufig auch eher schadet – außer natürlich bei mir. Beruflich. Persönlich. Halt systemrelevant. In diesem Sinne bin ich noch gespannter auf 2021. Zweifellos ein ganz neues Jahr.


Sarah

Also, das ist eine sehr gute Frage…

Ich habe mehr Zeit für mich und meine Lieben, man freut sich sehr viel mehr darüber, gesund zu sein, und achtet doch schon etwas mehr auf sich.
Habe wieder den Sport an der frischen Luft für mich entdeckt.
Wenn man meinen Freund fragt, koche ich wieder sehr viel mehr. 🙂
Natürlich wird mir auch immer wieder bewusst, dass mir das Kino fehlt oder ins Schwimmbad zu gehen, in meine Lieblingscafés oder Bars, Essen gehen oder einfach mal wieder ein Konzert zu besuchen. Vor allem das Reisen fehlt mir sehr…
Ich bin eigentlich nicht so der Typ, der gern zu Hause sitzt und nichts tut..aber auch das hab ich jetzt mal hin und wieder für mich entdeckt. Es bremst mich aus, daran ist aber nichts Schlimmes. Ich muss mich nur immer noch daran gewöhnen.
Und ich telefoniere viel öfter mit meinen Freunden und mit meinen Familienangehörigen. Wie ich finde, ein sehr positiver Effekt.

Gut ist aber, ich glaube fest daran, dass auch diese Zeit ein Ende hat.


Kristin

Dank der besonderen Umstände in diesem Jahr habe ich mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen können, was sehr schön war. Meistens. Alle Eltern werden verstehen, dass einem am Ende eines reinen Kindertages auch die Decke auf den Kopf fallen kann, und doch sind es wertvolle Zeiten, die man – besonders im Nachhinein – nicht missen möchte. Mein Jüngster ist in einem Alter, in dem es besonders schön ist, seine Entwicklung mitzuerleben, da die Schritte größer sind, mutiger, bedeutender. Aber auch außerhalb der Familie habe ich bewusster wahrgenommen, was ich habe. Es ist wohl eine gute Grundhaltung, mehr das zu genießen, was man hat, als das zu vermissen, worauf man vorübergehend verzichten muss. Die wenigen Konzerte etwa, die ich in diesem Jahr besuchen konnte, habe ich besonders geschätzt. So wurde das zu einem Leitmotiv: Alles einfach irgendwie bewusster wahrnehmen. Das sollte man wahrscheinlich immer tun, aber uns zeigt ja in der Regel erst das Fehlen, wie wichtig uns etwas geworden ist, was uns alltäglich und selbstverständlich erscheint. Insofern: Danke, 2020!


Marc

Schon im Rahmen des ersten Corona-Lockdowns im Frühling 2020 dünkte mir, dass das Horten von Trockenobst, Haushaltsrollen (vielseitig verwendbar) und Trinkwasservorräten nur eine Maßnahme sein kann, um der vermaledeiten Seuche die fieberlose Stirn zu bieten. Auch der Geist, das haben wir alle (na gut, die meisten von uns) in diesem Jahr gelernt, muss gefüttert werden. Und sei es mit einfachen Dingen. Die wundervolle Vorstellung, endlich mal ein bisschen Zeit „für sich“ zu haben, kann allerdings schnell zum Alptraum werden.
Mein Fazit: Bücher, die ich immer schon mal lesen wollte, habe ich bis dahin aus gutem Grund noch nicht gelesen. Und das so beliebte, neudeutsch „Binge-Watching“ genannte Wegglotzen von Serien birgt spätestens am zweiten Tag die Gefahr des an Mario Gomez gemahnende Wundliegens. Alles nicht befriedigend, also fertigte ich mir bereits im April eine To-Do-Liste an, die ich abarbeiten wollte. Anbei eine originalgetreue Kopie:

1. Ausschlafen
2. Arbeitszimmer aufräumen
3. Eine neue Sprache lernen
4. Ein besserer Mensch werden

Jetzt haben wir Dezember, verschiedene Lockdown-Varianten liegen hinter uns, und es hat sich nichts geändert. Das Virus tobt weiter durch die Straßen, aus dem Internet heraus drohen Politiker, Hundefrisöre und andere Propheten mit der dritten, vierten oder fünften Welle. Mir egal, dann ist das eben so. Denn in weiser Voraussicht habe ich erst einen (den ersten) Punkt erledigt, und den nicht mal zur Gänze. Ich habe also noch Luft für weitere Shut- und Lockdowns. Sollte irgendwann dann tatsächlich der alle(s) erlösende Impfstoff kommen und wir uns in Form von Langzeitschäden nicht in sabbernde Pilzgeflechte verwandeln, auch gut. Denn wer weiß, was in meiner restlichen Lebenszeit noch alles auf mich wartet? Vielleicht ein ganz neuer Virus, möglicherweise biegt auch ein Weltkrieg um die Ecke. Ich hab dann meine Liste und wende mich möglicherweise den Punkten zwei bis vier zu. Vielleicht. Wenn Punkt eins erledigt ist.


Bastian Till

Ich habe mich für zum Beispiel die großen Vorzüge des Alkoholkonsums im Büro entdeckt! Es gipfelte nun tatsächlich sogar darin, dass ich einen großen Kühlschrank von der heimischen Brauerei gestellt bekam – obwohl ich doch noch viel lieber doppelte Weißweinschorle oder Gin-Tonic trinke. Das finde ich insgesamt sehr positiv und bewerte es für mich als Weiterentwicklung.

Ich bedauere es sehr, dass ich in diesem Jahr so wenig im Riptide war. Erst Lockdown, dann seit Sommer mehr oder weniger freiwilliger Autoverzicht, wieder Lockdown. Das neue Riptide habe ich noch gar nicht gesehen – aber 2021 bin ich gewiss wieder am Start. Seit dem Fahrplanwechsel fährt der Zug zwischen Gifhorn und Braunschweig ja sogar stündlich und es gibt auch neue späte Rückfahrten. Das werde ich gewiss zu nutzen wissen – und dann freue ich mich auf einen tollen Quizabend mit Arni und Matze!


Außer den Jahresabschlussfragen gibt es seit dem Umzug des Café Riptide eine neue Tradition für mich: monatlich einen der neuen Nachbarn besuchen, kennenlernen und vorstellen. Für dieses Mal suchte ich mir die St.-Magni-Kirche aus, schließlich ist Dezember, Adventszeit, es naht also ein Fest, das es ohne das Christentum in dieser Form nicht gäbe. Nach meinem Besuch bei Chris entdecke ich die Tür der Magnikirche sperrangelweit geöffnet und das Innere einladend hell strahlend erleuchtet. Außer mir betrachtet nur eine Frau den Altarraum, ansonsten begegne ich jedoch niemandem, der mir von offizieller Seite zum Gespräch bereitstünde. Aber auch dafür gibt es Emails, und ich stelle eine Anfrage an das Gemeindebüro. Auf die antwortet mir Jugenddiakon Dieter telefonisch, der mir erklärt, dass die Kirche täglich für jeden geöffnet ist, ich also keine Ausnahme erlebte, und sichert mir zu, mir schriftlich etwas zukommen zu lassen. Er antwortet auf meine zwei Fragen, die ich an die Gemeinde richtete, eine exklusive, nämlich: Was bedeutet es Dir, dass das Café Riptide nun in der Nachbarschaft angesiedelt ist, gibt es Schnittpunkte, eventuell Besuche dort oder Pläne dazu? Und als zweites die obige Jahresabschlussfrage:


Dieter

zu 1)

Ich bin seit Februar in der offenen Jugendarbeit in und über St. Magni hinaus als Diakon unterwegs. Persönlich habe ich mich über den Umzug des Riptide ins Magni1/4 gefreut. Es ist ein Garant für leckeres, gesünderes Essen und gute Musik. Gern saß ich im – glücklicherweise langen – Sommer bei Euch und läutete mit Freund*innen oder Tochter das Wochenende ein. Das werde ich mit großer Sicherheit im nächsten Jahr wieder tun.

In der Magnigemeinde freuen wir uns über das lebendige Treiben auf dem und um den Kirchplatz. Gern laden wir dazu ein, die eine oder andere lebendige Aktion gemeinsam zu erspinnen…

zu 2)

Der Sommer war gut. Wir konnten im Kinder- und Jugendzentrum das Leben hauptsächlich nach draußen verlagern. Basketball und viele andere Bewegungsspiele auf dem Platz hinter der Kirche, Hausaufgaben und Bastelaktionen an Tischen unter freiem Himmel. Naja, Bewegung und frische Luft sind manchmal nicht so selbstverständlich, aber letztendlich gesünder, als bewegungsarm auf Bildschirme zu glotzen.

Praktisch nutzten wir den ersten Lockdown im Frühjahr, um unseren Dachboden zu entrümpeln. In 35 Jahren Kinder- und Jugendzentrum St. Magni hatten sich dort viele Dinge angesammelt, die heute nicht mehr zu gebrauchen waren. Somit sind sie mit zwei Containern Richtung ALBA gereist. Und Tschüss!

Der kleine praktische Erkenntnisgewinn: Uns wurde verdeutlicht, dass wir nicht in die Hände, sondern in die Armbeuge niesen und husten sollten, und dass ab und zu Händewaschen der Hygiene sehr förderlich ist;

Und im etwas größeren Zusammenhang: Uns wurde verdeutlicht, dass wir mit unserer Art zu leben nicht unangreifbar sind. Wir dürfen unsere Verantwortung sehen und unser Handeln danach ausrichten. Wie es geht, könnten wir mindestens herausfinden, wenn nicht schon an der einen oder anderen Stelle wissen.


Ich bin bewegt von diesem immensen Rücklauf. Und ich hätte auch noch so viel zu ergänzen, etwa, wie viel besser mir in diesem Jahr Äpfel und Birnen schmecken, wie viel Gewicht also das scheinbar Banale bekommt, wenn das scheinbar Glamouröse den Platz freigibt. Zu erwähnen ist noch: In der Woche bis zum 13. Dezember macht das Riptide Urlaub, danach geht der Betrieb so weiter wie zuvor, also dienstags bis samstags, jeweils eingeschränkt, aber immer gutgelaunt, erholt und mit dem Blick nach vorn. Man darf gespannt sein auf die Kreationen von Chefkoch Nico, sich freuen auf Gespräche mit Chris und dann die ein oder andere bestellte Platte mitnehmen. Es geht weiter!

Matthias Bosenick
www.krautnick.de
Fakebook

2 Kommentare

  1. Danke lieber Matze,
    das ist eine interessante Sammlung!
    Danke an alle, die ihre Erlebnisse und Erkenntnisse hier teilen. Das ergibt so ein gemeinsames Bild. Macht Spass und Hoffnung. LG

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