#161 Gespräch mit einer blau-violetten Person

Samstag, 13. Februar 2021

Und immer noch hat das Riptide ausschließlich samstags von 16 bis 19 Uhr geöffnet, damit man dort seine bestellten Platten und Burger abholen kann. Bei mir ist es heute eine Platte, die „Sleepless Night“-EP von Yo La Tengo, die erste von zahlreichen Bestellungen, die angekommen ist, was bei dieser unerwartet winterlichen Witterung nicht so selbstverständlich ist, schließlich kommen nicht nur Räumfahrzeuge, sondern auch Zusteller nicht durch die Schneemassen, die seit eine Woche alles zum Erlahmen bringen, als wäre so ein Virus nicht schon erlahmend genug. Aber schön anzusehen ist die Welt so bedeckt. Wieder wie früher, Winter 1978, Winter 1986, Winter 2010, damals, als Busse in Texas in Schneewehen stecken blieben und Lehrer in Hankensbüttel die Schüler, die ihnen diese Nachricht überbrachten, groben Unfug unterstellten, weil sie nicht wussten, dass es zwischen Pollhöfen und Zahrenholz eben doch ein Ca.-Acht-Höfe-Örtchen namens Texas gibt, das die Busse aus Groß Oesingen ansteuerten.

Doch bevor Chris meine Platte in dem Bestellfach suchen kann, klingelt das Telefon. Chris nimmt eine Burgerbestellung entgegen und ich habe Gelegenheit, mich umzusehen. Überall im spuckschutzbewehrten Thekenbereich hat Chris Schallplatten aufgestellt, und es klebt auch ein Din-A4-Zettel an der Theke mit relevanten angekündigten Neuerscheinungen bis weit in den März hinein, und die aufgeführten Künstler lesen sich wie ein ein Who-is-who des diversen Geschmacks, mit Kruder & Dorfmeister, Scooter, NOFX, Saga, Alice Cooper und Blackmore‘s Night. Und ich höre, dass Nico in der Küche sein muss, von dort sind zumindest Arbeitsgeräusche zu vernehmen.

Der nächste, dem diese Geräusche gelten, ist Kai, der mit einer Klappbox ausgestattet sechs bestellte Burger abholt. Sein Begleiter Sebastian übernahm den Abstecher zu Schadt‘s Bierhaus, „wir haben mitbekommen, dass die Bier verkaufen“, erklärt Kai, und verrät, dass die beiden die Aktion als „Spazbiergang“ bezeichnen. „So ‘ne geile Kombi, Schadt‘s Bier und Riptide-Burger“, sagt er. „Wir haben mal gesagt, wir machen vegane Ernährung.“ Und weil die auch noch küchenwarm erfolgen soll, verstaut Kai die Burger flugs in der Klappbox und zieht von hinnen, Sebastian entgegen.

Bis die nächsten Kunden ihre Bestellung abholen, nutze ich die Gelegenheit, Chris nach der Aktion von vor einer Woche auszuquetschen, als er als Butch Cassidy mit Lenny von den Buppets im Riptide auflegte, Rare Grooves und Soul, live auf Instagram und vom Plattenteller. „Ich war aufgeregt“, verrät Chris, „weil das letzte Mal so lang her war“, ziemlich genau ein Jahr, damals im Kleinen Haus des Staatstheaters. „Die Plattentasche war verstaubt“, lacht Chris. So etwas wie Streaming kannte er vorher als Auflegender noch nicht: „Ich bin ein Stimmungs-DJ mit Publikum.“ So kam es zu seiner Internet-Premiere nach einem Jahr DJ-Abstinenz direkt vom Riptide aus. Mit einem flauschigen Begleiter: Der blau-violette Lenny, einer der drei Buppets, stand ihm zur Seite, tanzte, bediente ihn mit Getränken und sang auch mal mit, wenn er die Lieder kannte. Eine logistische Meisterleistung, dazu noch eine spontane, denn „der Kameramann war gleichzeitig der Puppenspieler“, man hatte schließlich Auflagen einzuhalten. Chris strahlt: „Das war mein schönster Abend seit sechs, sieben Monaten, das hat voll Spaß gemacht, das war der Hammer!“

Das Publikum an den Smartphones schickte Chris Kommentare und Screenshots, berichtete von Essen und Cocktails zu Hause, parallel zum DJ-Set. „Es war etwas Besonderes für sie“, freut sich Chris, deshalb: „Ich habe beschlossen, das wieder zu machen.“ Und Lenny wird dann auch wieder dabei sein, der war ja schon einige Male im Riptide. Chris erzählt aus dem Nähkästchen: Wenn er Vinyl auflegt, bewegt er sich weiträumig von rechts nach links und zurück, und wenn dann noch ein Puppenspieler Raum für sich benötigt, dürfen die beiden sich nicht in die Quere kommen. Also legte sich der Puppenspieler unter den DJ-Tisch, bettete sein Haupt auf Kissen und hauchte dem plüschigen Lenny von dort aus Leben ein. Mit einem „Ausfallschritt“, so Chris, gelang es ihm immer, den Bewegungen der Puppe und ihres Spielers auszuweichen. Und Lenny auch mal eine Platte in den Mund zu stecken. Der Puppenspieler kletterte gelegentlich aus seiner beklemmten Lage heraus, ohne dass es im Stream zu sehen war.

Ein Riesenspaß für alle Beteiligten, sowohl für die Buppets als auch für Chris als DJ eine andere Facette, mit einem höheren Entertainmentfaktor, etwa, wenn er mit Lenny tanzte. Er kichert bei der Vorstellung, wie das durch die Scheiben von draußen aus gewirkt haben mag, dass da ein mittelalter Mann allein im Riptide mit einer blauen Plüschfigur herumtanzt, nicht jeder wusste ja, dass das ein Stream für Instagram war, und den Kameramann konnte man auch nicht sehen. Wenn der Puppenspieler mal die Beine vertreten wollte, mixte er dem DJ und sich einen Cuba Libre. Man sah im Stream, wie Lennys blaue Hand aus der Sicht des Kameramanns Chris das Glas in die Hand drückte, verblüffend, und Chris verrät, dass der Puppenspieler dafür extra plüschige Handschuhe genäht hatte.

Chris sinniert, dass er in diesem Jahr „auf digitaler Ebene“ noch einiges veranstalten könnte, abhängig von der Dauer weiterer Lockdowns. Eines ist bereits beschlossen: Am Samstag, 27. Februar, macht er einen solchen DJ-Abend erneut, „Butch Cassidy featuring Lenny von den Buppets.“ Er hat auch schon einige Ideen, was er und der Puppenspieler dann machen, denn der ist zuständig für Licht, Kamera und Schnitt und Chris für das Entertainment. Zum Abschied, bevor die nächste Bestellung über die Theke geht, verrät Chris noch, warum Lenny diesen Namen trägt, und erinnert an die Geschichte seines Tischlers, der einst in den USA für Lenny Kravitz arbeitete.

Montag, 15. Februar 2021

Mit dem bin ich heute nämlich verabredet. Also mit dem Tischler, nicht mit Lenny Kravitz, dafür aber außerdem mit Lenny. Wir treffen uns in seiner WG, außer Lenny ist noch Moenow da, der grüne Zyklop, dessen Name korrekt „Mono“ ausgesprochen wird, logisch, er hat ja nur ein Auge. Moenow sitzt aber etwas unbeteiligt in der Ecke und überlässt Lenny das Gespräch. Flap mit dem braunen Fell fehlt, der ist zurzeit bei Lars, einem Freund, zu Besuch. Bevor ich das Wort an Lenny richte, übernimmt es Marc, mir einige Hintergründe zu erläutern. Marc ist nämlich jener Puppenspieler, Kameramann und Tischler, von dem zuvor so oft die Rede war und den ich im Sommer im Riptide kennenlernte, und er bezeichnet sich selbst als „Assistent“ der drei Buppets.

Vor Lenny liegt eine kleine, gelbe, flauschige Handpuppe auf einem Kasten mit Nähgarn, ohne Augen und Mimik, aber ins Marcs Hand trotzdem sofort lebendig. „Das ist ein Test, ich probiere mich gerade in Sachen aus, in Größen, in Kopfformen“, erläutert Marc. Und steigt damit direkt in die Geschichte der Buppets ein: „Ich bastele gerne, male Spielfiguren an, bin Tischler, bin relativ kreativ, ich baue mit Lego, irgendwas mache ich halt immer.“ Seit zehn Jahren macht er beim Selbstfilmfest „Durchgedreht 24“ mit, und schon dabei zeigte er seine „Liebe zum Detail“, indem er Requisiten aus „Pappe, Papier, Kleister“ erstellte. Einmal etwa wollte er mit Nico, einem Freund, eine Geschichte zwischen „Toy Story“ und „Herr der Ringe“ drehen und dafür einen Roboter bauen, aus dem kurzerhand eine übermannsgroße Lego-Figur wurde. „Günstig“, wie Marc betont, weil eben nur aus Pappe, Papier und Kleister bestehend, „aber macht einiges her.“

Jedenfalls bastelte Marc dann vor ziemlich genau einem Jahr Flap, nach Youtube-Tutorials. „Ich habe ‚Fraggels‘ und ‚Muppets‘ geguckt“, erklärt Marc, und mit dieser Leidenschaft für Puppenfilme Flap „gebaut“, wie er sagt. Kurz darauf hatte er Geburtstag und feierte mit einer großen Gästezahl, „das war die letzte Party vor dem Lockdown, und alle Gäste haben mit Flap gespielt und ihm Leben eingehaucht, als wenn da wer neben dir sitzt.“ Zu dem Zeitpunkt hatte Marc mit Nico bereits eine Idee für den nächsten Beitrag zu „Durchgedreht 24“ gehabt und den kurzerhand über den Haufen geworfen: „Wir haben einen Film mit Puppen gedreht.“

Dafür brauchten sie aber noch weitere Puppen, nicht nur Flap. Fragmente von Schaumstoffinnenleben liegen zwischen Marc und mir auf dem Tisch, neben der gelben Projektpuppe und vor Lenny. Marc weckt Moenow kurz aus seinem Nickerchen und erläutert, dass der und Lenny im Prinzip den identischen Aufbau haben, nur dass einer etwas größer ist. Der Entwurf für die beiden stammt aus Marcs Vorstellungskraft, „dafür gab‘s keine Vorlage“, und die Anleitung zum Bauen von Youtube. Bald also hatte Marc drei Puppen zur Hand und machte sich daran, mit Nico die Filmidee umzusetzen, einen Krimi. „Ich brauchte noch eine Location für eine Kneipenszene“, erzählt Marc, und da er Chris schon länger kennt, fragte er ihn, ob das Riptide dafür in Frage käme. „Chris war sofort dabei“, freut sich Marc. Dabei entstand dann gleich noch ein Image-Film für das Riptide mit den drei Buppets, „alles in den ersten zwei, drei Wochen“, staunt selbst Marc.

Der Clip erzählt nun, dass Flap, Lenny und Moenow ein Vorstellungsgespräch bei Chris im Riptide hatten und „wie sie anfangen, bei Chris zu arbeiten“, erzählt Marc. „Das war die Geburtsstunde, ich habe das erste Mal mit Puppen etwas gemacht, gespielt, und dabei festgestellt, wie witzig das rüberkommt, wenn sie am Fenster vorbeilaufen – wir haben uns beömmelt!“ Den kleinen Clip stellte Marc Chris zur Verfügung und machte sich an den Detektivfilm-Beitrag „Geteilt wird später“ für „Durchgedreht 24“, für den es schließlich immerhin einen „Trostpreis“ gab, so Marc, den „Schulterklopfer“.

Und dann? Der riesige Lego-Mann lagert auf dem Dachboden, und Marc konnte sich nicht vorstellen, dass Flap, Lenny und Moenow als Filmrequisiten dieses Schicksal teilen sollten: „So nicht“, befand er. Kurt darauf traf er Sascha, der gerade mit seiner Spachtelkiste an den Markt ging, und der ihn darin bestärkte, aus den Buppets etwas zu machen. Zum Beispiel einen Instagram-Account, „damit hatte ich vorher nix am Hut“, sagt Marc, auch wenn er einen privaten Account dort hat. Und so kam es Anfang Juli zum ersten Post der Buppets, sogar noch vor dem Filmfestival, wobei der Auftritt dort dann der tatsächliche öffentliche Startschuss für die drei Plüschhelden war.

Dabei legt Marc übrigens Wert darauf, wie die Buppets geschrieben werden, nämlich mit jeweils großem B und S, weil sie aus Braunschweig kommen, also BuppetS, und dass er aus ihnen so eine Art Botschafter für die Stadt machen könnte. Bei der Recherche überraschte ihn, dass es zwar grundsätzlich einige Handpuppenspieler gibt, aber mit so einem expliziten Regionalbezug nicht. Und so reift in Marc die Idee, die Sehenswürdigkeiten von Braunschweig „in lustig und in Puppenart“ zu präsentieren und zu erläutern, „Burgplatz und so, das kommt vielleicht noch“. Eine von vielen Ideen, die Marc ausbrütet.

Bei seiner Arbeit mit den Buppets lernte er jedenfalls viele neue Leute kennen und knüpfte neue Kontakte zu alten Bekannten, etwa zu Snale TV, bei denen er auch mal Mitglied war, oder zur Kreativregion und zum Trafo-Hub, oder zur National-Jürgens-Brauerei, mit der Marc „auch mal was machen“ möchte. Dann setzte er spontan das Format „Flausch und Plausch“ um. In der ersten Ausgabe interviewte Lenny Sascha von der Spachtelkiste, und Marc kann sich vorstellen, das Format auch auf andere „Menschen und Läden in Braunschweig“ anzuwenden. Die Kontakte ergeben sich gegenseitig: Ein Bericht über die Buppets im Magazin Subway kam schon mal zustande, und auch mit Chris hat Marc noch mehr vor. Wichtig sei, dass die Gesprächspartner sich auch auf die Puppensituation einlassen können, und er schwärmt von Sascha, „der hat Bezug dazu, der quatscht Lenny voll“. Die Gäste bei der „Sesamstraße“ seien da ein gutes Vorbild.

Blickt Marc auf sein Handy, ist er überwältigt davon, dass er mit den Buppets bei Instagram in gut einem halben Jahr so viele Abonnenten ansammelte: „Das läuft gut, was nicht zu erwarten war“, staunt er. Er selbst abonniert ebenfalls Braunschweiger Kanäle, wie das Riptide und die Luke 6. Auch knüpfte er Kontakt zu anderen Puppenspielern weltweit und tauscht sich mit ihnen aus, „aus Kanada, USA, Italien“, und lässt sich von ihnen inspirieren. Er freut sich immens über positive Rückmeldung von anderen Spielern: „Ich übe ja quasi immer noch.“

Und wieder wandert Marcs Blick auf den gelben Prototypen zwischen uns. „Ich probiere Sachen aus, nach Vorlagen aus dem Internet“, sinniert er. Und berichtet, dass er häufig nach einem weiblichen Buppet gefragt wird: „Wann kommt das Mädchen?“ Keine einfache Sache: „Für mich ist das schwierig, ich hab darauf Bock, aber ich merke jetzt schon, ich kann das nicht mehr alleine stemmen.“ Er habe bereits Freunde, die ihm helfen, aber bei der „Sesamstraße“ etwa sei es so, dass Elmo einen Spieler hat und den seit zehn Jahren, sagt Marc, „und ich spiele Lenny, mit dem habe ich angefangen.“ Und: „Für ein Mädchen brauche ich eine Frauenstimme.“ Bedenken hat er grundsätzlich bei der Bereitschaft potentieller Mitspieler, sich auch mal zum Horst zu machen, und erzählt, wie er am Vormittag im Schnee im Inselwallpark unterwegs war: „Wer setzt sich mit mir mit Puppen auf einen Schlitten?“ Ähnlich wie Chris, grinst auch er bei der Vorstellung von einem „alten Mann mit Puppen im Park – wenn du das erzählt bekommst!“. Marc wolle jemanden finden, dem das „vollkommen egal“ ist und der da „Bock drauf“ hat. Und wiederholt, dass er für ein Mädchen auch eine Frauenstimme vorsehe.

Ideen habe Marc tatsächlich bereits für weitere Figuren, auch schon neuen Stoff gekauft, aber „kein Stress“, erstmal experimentiert er noch mit unterschiedlichen Kopf- und Körperformen, was die beschrifteten Schaumstofffragmente auf dem Arbeitstisch belegen. Eine weitere Erkenntnis hat Marc gemacht: „Wenn man ‚Dr. Who‘ kennt: Die gehen in die Tardis, ‚die ist ja viel größer, als ich dachte‘, und die Puppe auch.“ Er zuckt mit den Schultern: „Ich muss ja reinpassen.“ Also experimentiert er mit verschiedenen Körpergrößen: „Wie klein kann man machen?“ So kompakt, dass er trotzdem noch die Hand in sie stecken kann. Dabei betont er, dass er alle Puppen „mit der Hand genäht“ hat: „Ich habe keine Nähmaschine.“ Abends, nach dem Feierabend seines Hauptjobs, sehe er sich gern Filme und Serien an „und nähe dabei Puppen – über Tage“.

Die ersten drei Buppets unterzog Marc sogar bereits kleinen Veränderungen. Beispielsweise sind die Handstangen nicht mehr fest installiert und mit dem Drahtgeflecht in den Puppenhänden verbunden: „Jetzt ist ein Schlauch drin“, zeigt er bei Lenny, und in den kann Marc die mobile Handstange einfach einführen, wenn er sie braucht. Macht er nämlich Fotos von den Buppets, braucht er die Stangen nicht, und jetzt kann er sie dafür leicht entnehmen. „Ich habe Lenny die Hände aufgeschnitten und Sachen rausgeholt“, sagt Marc. „Eine Operation am offenen Herzen.“ Mir tut der Kerl sofort leid.

Noch etwas ist bei Marc anders als bei Profis: In der „Sesamstraße“ gebe es beispielsweise zehn Elmos, aber er hat jeden Buppet nur einmal, „und der lebt, der wird in den Rucksack gesteckt, der geht mit segeln, wandern, der wird dreckig“. Marc weiß: „Ich bin nicht der Vorsichtigste, ich setze die auch in den Schnee, ich denke, das können die ab, es gibt da kein Double.“ Er seufzt: „Wenn ihnen was Grauenvolles passieren sollte, werde ich ein Problem haben.“ Gott bewahre!

Nun aber zurück ins Riptide, zur DJ-Party mit Butch Cassidy. Eigentlich, berichtet Marc, brauchte Chris jemanden, der die Kamera für den Stream bedient, und die beiden einigten sich darauf, dass Marc auch die Buppets mitbringt, zumindest einen, Lenny nämlich, und überlegten dann, wie sie es arrangieren konnten, dass man Marc nicht sieht und „dass es trotzdem witzig ist“. Dabei kam Marc die Technik zu Hilfe: Der Stream erfolgte nämlich über Chris‘ Handy, und so konnte Marc unter dem Tisch mit ein, zwei Sekunden Verzug auf seinem Handy verfolgen, wie sich das auswirkte, was er da mit Lenny vollführte. Bei regulären Filmdrehs muss er auf den Zuruf des Kameramenschen reagieren, „weiter rechts“, und sich dafür Bilder im Kopf machen. „Wir hatten kein Script“, fährt Marc fort, und der Schwung kam mit der Zeit, als Chris immer mehr mit Lenny interagierte, „weil, eine Puppe alleine wirkt ja nicht so“. Marc verzieht den Mund: „Ich hatte am nächsten Tag Megarückenschmerzen, ich lag da unterm Tisch, das kriegt ja keiner mit.“

Marc bestätigt außerdem die Geschichte mit dem Handschuh, dass eine aus der Kameraperspektive gefilmte Hand einer Puppe „sehr statisch“ sei und er sich deshalb Handschuhe von Lenny und Moenow anfertigte. „Ich kann mit denen Sachen machen“, so Marc, „ich hatte den mit, das sah witzig aus.“ Wie Lenny Chris das Getränk reichte, das war schon verblüffend, wenn man das Geheimnis des Illusionisten nicht kannte.

Eine weitere Frage, die Marc bisweilen zu hören bekommt, lautet: „Wo willst du hin?“ Und er antwortet: „Ich habe keine Idee, es war nicht das Ziel, berühmt zu werden und Geld zu machen.“ Auch fragen ihn andere, was er davon habe, dass er andere Leute mit den Buppets supportet, und er sagt: „Nichts.“ Einmal bekam er einen Burger ausgegeben, nach einem Clip. Marc zuckt mit den Schultern: „Ich hab Spaß daran, das ist mein Hobby, ich lerne viele kreative Menschen kennen, und da hab ich Bock drauf.“ Auch freuen ihn die positiven und dankbaren Rückmeldungen, die er bekommt, Reaktionen, in denen Leute ihm sagen, dass es ihnen zurzeit nicht so gut gehe und sie nach einem Buppets-Clip „ein Lächeln im Gesicht“ hatten, so Marc: „Das will ich, Freude bereiten.“ Gerade die Corona-Zeit empfinden viele Menschen schlecht und negativ, sagt Marc, und bekämen von den Buppets „gute Laune“. Er betont, dass sie auch ohne Corona entstanden wären, und empfindet es als Glück, dass dies gerade zur Pandemie erfolgte, „zu dem Zeitpunkt, dass Leute das brauchen“.

Jetzt möchte ich aber das Wort endlich an Lenny richten, der schon ganz ungeduldig am Tisch sitzt, den blauen Buppet mit dem lila Ohr, lila Unterkiefer und lila Bauch. Er gestattet es Marc, gelegentlich ins Gespräch einzugreifen, wenn er nicht weiterweiß. Und ich habe trotz Marcs Ausführungen noch einige Fragen an Lenny:

Wie alt bist du eigentlich?
Lenny: Weiß ich nicht, das hat mir noch keiner gesagt, da haben wir noch nicht drüber gesprochen, da sollten wir uns mal Gedanken drüber machen.

Wie ist das WG-Leben?
Lenny: Unordentlich und wir haben noch einen Hund, der war vorher da. Wir haben ein WG-Zimmer, wir schlafen alle in einem Zimmer.

Versteht ihr drei euch gut?
Lenny: Sonst würden wir nicht zusammen wohnen! Auf einmal war die WG da. Wir müssten mal ein WG-Casting machen, wir hätten da noch ein Zimmer frei.

Wovon lebt ihr?
Lenny: Marc wohnt ja auch hier und der bringt uns immer das Essen ran, der hält uns quasi aus, wie bei „Alf“.
Marc: Im Endeffekt sind die bei mir eingezogen, es hat irgendwann geklingelt, und ich hatte ein Zimmer frei mit einem Dreierstockbett.

Was mögt ihr drei, was habt ihr für Hobbys?
Lenny: Gute Musik, das Riptide, wir essen gern Burger, ich glaub, wir posten am meisten Burger, Burger ist gut.

Was habt ihr drei für Charaktere, wofür steht ihr?
Lenny: Flap ist ein bisschen durchgeknallt, verrückt, der ist ein bisschen irre.
Marc: Lenny hat angefangen, Leute zu interviewen, „Flausch und Plausch“ bleibt Lenny.
Lenny: Moenow geht in Richtung Koch, der schlemmt gerne mal.
Marc: Flap geht ein bisschen unter, aber den mögen ganz viele.

Wofür braucht ihr Marc?
Lenny: Zum Hin-und-her-Fahren, wir haben gemerkt im Schnee, wir sind nicht gut zu Fuß, der trägt uns hin und her. Nach dem Riptide wusste ich nicht, wie ich nach Hause gekommen bin.

Das klingt nach etwas zu viel Cuba Libre.
Marc: Wie viel verträgt ein Buppet? Trinkt ein Buppet ein Bier? Warum nicht! Nur nicht wie bei „Meet The Feebles“. Die Buppets trinken auch mal ein Cuba Libre, aber nicht über die Stränge schlagen. Aber es ist schwierig, die drei unter Kontrolle zu halten. Hätte ich das gewusst, hätte ich sie vielleicht nicht einziehen lassen. Sie lernen ja auch noch, sich zu verhalten in der Gesellschaft. Vielleicht werde ich ihr Manager, ich organisiere die Termine, weil sie das sonst nicht hinkriegen, und fahre die Jungs hin und her.

Was mögt ihr am Riptide?
Lenny: Die Burger sind gut, Chris ist total nett, der hat uns vom ersten Tag an mit offenen Armen empfangen. Wir haben zwar keinen Plattenspieler, aber wir mögen gute Musik.
Marc: Das alte Riptide kennen sie gar nicht, sie sind mit dem neuen Riptide aufgetaucht. Sie haben einen guten Bezug zu Chris, weil der mit beim Entstehen dabei war, er war einer der ersten Freunde der Buppets, er hat gesagt, ihr dürft jederzeit dabei sein.
Lenny: Wir durften sogar hinter der Theke stehen, das hat weniger gut funktioniert, er musste neue Leute einstellen, vielleicht ist die Küche nicht so unser Bereich. Die Theke vielleicht, wir müssen mit Chris nochmal reden, aber uns gibt‘s nur im Dreierpack, wenn, dann muss er alle drei einstellen!

Eigentlich habe ich noch viel mehr Fragen, aber die hebe ich mir für die nächste Begegnung auf. Ich baue darauf, dass es zu einer kommen wird. Mindestens. „Die Buppets“, sagt Marc zum Abschied, „vereinen alles, was mich interessiert, Foto, Film, Kreativsein – ich kann alles, was ich gern mache, einbringen in ein Projekt.“ Und bevor ich gehe, mache ich noch schnell heimlich ein Selfie mit Lenny. Alter! Mein erstes Star-Selfie!

Samstag, 13. Februar

Neue Nachbarn kennenlernen, das ist umso schwieriger, je länger dieser Lockdown besteht. Doch ähnlich wie das Riptide, bietet auch die Makery in der Kustraße 35, quasi am Eingang des Magniviertels, von der Stadt aus gesehen, Speisen zum mitnehmen an. Am Eingang verhindert ein aufgestellter Tisch den Zugang zum Café, und als ich klopfe, stelle ich fest, dass ich mitnichten einfach nur neue Nachbarn kennenlerne, sondern alten Bekannten begegne: Nina und ihre Schwester Svenja betreiben die Makery, und Nina war vor vielen Jahren Angestellte im Riptide. „Ich habe danach studiert und im Puttchen gearbeitet“, erzählt sie. „Seit fast fünf Jahren“ sind die Schwestern nun mit der Makery im Magniviertel, und: „Wir mögen‘s!“ Hier machten sie sich als erstes auf die Suche nach einem Standort für ihr Café. „Ich liebe das Magniviertel“, schwärmt Nina, denn: „Wir sind hier zur Grundschule gegangen, sind hier aufgewachsen, das ist ein Superstandort!“

Außerdem sei das Viertel ein „Gastronomiestandort“, sagt Nina, und das Riptide damit in guter Nachbarschaft. Dopplungen mit dem Caféangebot sieht sie nicht, sagt sie, und beschreibt die Idee hinter der Makery: „Wir haben selber bestimmte Sachen vermisst“, etwa Bio und Faitrade kombiniert mit Gemütlichkeit, und hier sei zudem alles selbstgemacht, „kein Einheitsbrei“, und dem Konzept seien sie sich „treu geblieben“. Etwa darin, insbesondere bei „Problem-Produkten“ wie Kaffee, Espresso, Tee oder Schokolade Firmen zu unterstützen, die transparent sind, deren Verträge mit ihren Arbeitern sie offenlegen. Auch die Ausstattung der Makery sei nicht stromlinienförmig, sondern stamme „von eBay-Kleinanzeigen, von Freunden oder ist selbstgebaut“, erzählt Nina, „wohnzimmermäßig“.

Dem neuen Riptide habe sie bislang lediglich einen Begrüßungsbesuch abgestattet, erzählt Nina, und gibt zu, dass sie selbst „superwenig unterwegs“ sei, seit sie „den Laden“ betreibe, schließlich erwarte sie nach Feierabend auch zu Hause noch Arbeit. „Ich bin selber nicht mehr so viel unterwegs“, sagt sie, höchstens „mal essen“. Sie bedauert, noch nicht mehr Zeit fürs neue Riptide gehabt zu haben, und betont: „Chris ist hier immer herzlich willkommen!“ Das sei grundsätzlich etwas, das ihr am Magniviertel gefalle: „Es ist sehr freundschaftlich und familiär, es kommen alle gut miteinander klar.“

Matthias Bosenick
www.krautnick.de
Fakebook

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