Dienstag, 23. Mai 2023
Jojeco sieht merkwürdig aus zurzeit, so dunkel und, was man so durch die Schaufenster sehen kann, zerrupft und leer. Eigentlich hatte ich vor, das Bekleidungsgeschäft für Fair Fashion als neuen Nachbarn des Café Riptide zu erkunden, aber ganz offensichtlich nicht jetzt, es sieht nach Umbau aus, hoffentlich, und nicht etwa nach Schließung. Also schlendere ich weiter die Straße Ölschlägern herunter – und sehe an der Ecke, in Nummer 27, das vertraute Jojeco-Logo über dem Eingang prangen. Ein Umzug also! Na, ein Glück!
Das nächste Glück ist, dass Ulli heute bei Jojeco im Einsatz ist. Wir kennen uns seit seligen Silver-Club-Zeiten und laufen uns seitdem immer wieder über den Weg, aktuell gern bei mir im Viertel in Potts Tattoo-Shop Schmierfink und Robird, mit dem sie eng verbunden ist. Sie weiß, weshalb ich da bin, und strahlt gleich los: „Wir bestellen für unsere Team-Events immer im Riptide die wunderbaren Falafel-Sandwiches, belegte Fladenbrote mit Falafel, voll gut!“ Die hab ich noch gar nicht probiert, eine Lücke! „Manchmal hat’s ja zu, da müssen wir uns mit was anderem begnügen“, setzt sie fort.
Seit acht Jahren, erzählt Ulli, gibt es Jojeco, und zwar exakt seit dem 2. Mai 2015. Sie grinst und zitiert ein Interview, das die Betreiber selbst so gaben: „Weil unsere alten Chefs sich das sonst nicht merken können, haben wir am 2. Mai auch den neuen Store eröffnet.“ Dieser Umzug ging mit einem gigantischen Einsatz am verlängerten Wochenende davor über die Bühne. Die neuen Räume sind größer und besser gelegen, „der alte Laden lag nach hinten versetzt im Dunkeln“, sagt Ulli, und profitierte mehr von Stamm- als von Laufkundschaft. Sie deutet mit weit ausgebreiteten Armen auf die über Eck führende helle Fensterfront: „Hier: Kommse rein!“ In diesen Räumen hatte das gegenüber gelegene Werkzeuggeschäft Ohlendorf Geräte und Lager untergebracht, „ganz früher war hier Magni-Küchen drin, deshalb heißt das so“, klärt sie mich auf. Sieh an! Unter der früheren Adresse wurde es zudem „auch langsam eng“, sagt Ulli. So hätte man von dicken Winterjacken immer nur ein Exemplar in den Schauraum hängen können und für jede andere Größe ins Lager gehen müssen. Zwar sei jetzt das Lager kleiner, „aber wir haben die Möglichkeit, im Laden einen kompletten Größensatz hinzuhängen“.
Der Name Jojeco ist leicht erklärt, er setzt sich aus Jojo alias Johannes und Jens zusammen mit dem Zusatz Co-AG, weil Jojos Frau Kerstin vom Kleinen Café wenige Meter die Straße herunter anfangs mit im Geschäft war, bevor sie sich ganz auf ihre Gastronomie verlegte. Fair Fashion als Geschäftsidee war entstanden, weil es das in Braunschweig noch nicht gegeben hatte, so Ulli. „Jens war vorher schon in der Materie drinnen, Jojo hat noch in Berlin gewohnt und kam zurück“, erzählt sie. Zusammen eröffneten sie diesen Fair-Fashion-Laden, und seit dies geschah, findet Ulli, habe ein Wandel stattgefunden: „Man merkt, dass auch Jüngere herkommen, die ganze Bandbreite an Altersklientel, von 16 bis über 60.“
Die alten Räume geben Jojo und Jens überdies nicht aus der Hand, sondern renovieren, bauen um, erneuern den Fußboden, und planen, darin einen Second-Hand-Laden und ein Outlet einzurichten, „auch Fair Fashion“, betont Ulli, „wir wissen nur noch nicht genau, wann“. Dann gibt es Jojeco sogar dreimal im Braunschweig: Der dritte Laden in der Münzstraße bietet „Schuhe, Rucksäcke, Zero-Waste-Artikel, Hygiene-Artikel und Kalender“ an, so Ulli. Ich lerne neue Wörter: Zero-Waste-Artikel. Hier im Laden sehe ich Unterwäsche und pinke Regenmäntel, Ulli lacht: „Vom Schlüppi über die Socke bis zur Kopfbedeckung – Jacken, Regenjacken, Jeans, T-Shirt, Kleid und alles, was dazwischen passt.“ Sie deutet auf Joggingbekleidung: „Gemütlichkeit geht auch: Schlumbum-Klamotten!“ Auch kurze Hosen sind schon wieder im Angebot, obwohl das Wetter heute verglichen mit gestern schon wieder für dicke Schals plädiert. „Jeans sind das große Steckenpferd“, fährt sie fort, „das gibt’s auch nicht mehr, den klassischen Jeansmarkt.“ Sie erinnert an California, den ehemaligen Jeansladen die Straße herunter, in dem heute der Herrenausstatter eingerichtet ist.
Es gibt weitere Argumente für Jojeco, sagt Ulli: „Was uns unterscheidet, ist, dass du Beratung kriegst, das wird auch gut angenommen.“ Wenn es die Kundenzahl zulässt, sind sogar Sonderbehandlungen möglich: „Vorhin war hier ein Pärchen, das war eine Stunde hier.“ Außerdem bietet Jojeco auch Änderungsarbeiten an – die dann Duong vom Nähwerk in Kooperation übernimmt.
Wieder mal: Der Zusammenhalt im Magniviertel. Ulli lacht und erzählt, dass sich am Eröffnungsabend des neuen Stores in dessen Eingangsbereich eine kleine Traube an Freunden, Bekannten und Nachbarn zum Begrüßungssekt zusammenfand. „Da war die Fußgängerzone gerade neu, darüber haben wir uns ausgetauscht, es hat sich viel gemacht“, sagt sie. Stimmt, seit Anfang Mai ist Ölschlägern weiträumig autofrei. Ulli sinniert: „Es hat sich viel gemacht im Magniviertel, es ziehen alle an einem Strang, dass man sich nicht Konkurrenz macht, sondern, um es gemeinsam zu beleben.“
Das Magniviertel war Ulli auch vor ihrem Job bei Jojeco schon vertraut, „ich habe bei Hut-Margret mal gearbeitet“, also in Raum 23, außerdem sei sie schon immer gern in Barnaby’s Blues Bar gewesen – aber damals habe es das Magniviertel in der heutigen Form noch nicht gegeben. „Mit dem Riptide-Umzug ist der Platz belebt“, freut sich Ulli. Und erinnert sich, dass das Afghan Warehouse vor dem Umzug in den Waisenhausdamm auch eines ihrer Ziele im Magniviertel war. „Das mit der Fußgängerzone finde ich auch ganz gut“, fährt sie fort, und deutet auf die Sitz-Paletten, die jetzt auf den vorherigen Parkflächen stehen: „Die gehören zu uns, die wurden gut angenommen.“ Sie nickt: „Es macht was aus, dass Leben in die Bude kommt im Viertel!“
Jetzt kommen Kunden in die Bude, wir verabschieden uns und ich schlendere über die Straße. Schade, vorgestern und gestern war es so warm, dass der Balkon dazu einlud, den Kaffee und das Bier draußen zu trinken, heute muss ich die Jacke nicht nur anziehen, sondern auch schließen. Schon wieder nix mit draußen sitzen, aber nun, drinnen ist es, das kann man nicht oft genug feststellen, im Riptide ja auch besonders schön. Dabei habe ich ja auf dem Magnikirchplatz in diesem Jahr schon draußen gesessen, leider an einem Tag, an dem das Riptide Ruhetag hatte, dafür eben beim Café Lineli, und zwar, als meine Schwester mit Freund und jüngster Tochter da war, um Braunschweig zu erkunden, und die Bonner mit der Ahnung heimkehrten, es in Braunschweig womöglich besser haben zu würden als am Rhein. Das Gras ist immer grüner auf der anderen Seite, aber nun, sie erlebten auch viel rund um den 1. Mai, Greek Haus, Harrys Bierhaus, Spunk mit Konzert, dem vorletzten am alten Standort, bevor Holger es nächste Woche am Füllerkamp neu eröffnet, Kufa-Haus mit Metal-Party, Oldtimer-Treffen, DGB-Fest, Mesopotamien-Grill, überall Freunde und Bekannte, die den Gästen gar nicht den Eindruck vermittelten, fremd zu sein, so herzenswarm. So geht Braunschweig! Und genug Programm fürs nächste Mal ist ja auch noch offen. Das Riptide, gell?
Da bin ich jetzt. Dennis und Dominik bespielen die Theke, Dominik bringt die Vinyl-Version des Albums „Le Frisur“ von der Band Die Ärzte zur dekorativen Auslage über den Tischen gegenüber der Theke. Da kommt Chris die Treppe herab, also aus dem Büro, und verabschiedet sich von den beiden, bevor er sich zu seinem Termin aufmacht. Einen Moment Zeit nimmt er sich für mich, schließlich habe ich nach dem Instagram-Aufruf, sich als Koch zu bewerben, Fragen. Chris hält sich noch bedeckt, da er mit Addi noch in Abstimmung ist, den ich nur knapp verpasse, leider, er hat schon Feierabend. „Es wird einen Wechsel geben“, sagt Chris daher nur kurz, „mehr dazu irgendwann.“ Darauf baue ich!
Dafür hat Chris andere Nachrichten für mich: „An der Kulturnacht nehmen wir teil, es gibt ein Whisky-Tasting im Sommer, die Sommer-Specials sind zurück, und im Herbst gibt es zum ersten Mal am neuen Standort ein Kulturprogramm, Quiznight, Konzerte, Lesungen, wie du es kennst vom alten Standort.“ Die Kulturnacht findet schon am 17. Juni statt, das Riptide ist mit zwei Bands vertreten. Chris strahlt: „Seit Corona, nach all den Jahren, werden wieder Leute durch die Straße ziehen – das wird schon schön werden!“ Und: „Den Pin verkaufen wir auch!“ Jetzt muss er los, er hat ja einen Termin.
Und ich möchte einen Burger essen, aber Addi ist ja schon weg. „Christiane ist da“, sagt Dennis, „Burger geht.“ Addi arbeitet ja ab vormittags, deshalb gibt es abends keinen Mittagstisch mehr. Aber Burger geht, also nehme ich den und ein Wolters. Bis Dominik mir das Essen bringt, erkunde ich die LPs und mache Fotos vom Flyer für die erste Veranstaltung von Rille Elf in diesem Jahr, Günther und ich legen nämlich an Pfingstsamstag psychedelische Gitarrenmusik in Harrys Bierhaus auf, und welches Motiv eignet sich als Hintergrund für das Flyerfoto besser als das „Stoner/Doom“-Fach im Riptide. Danach sind Uwe und ich am 30. Juni zur Caféhausmusik im MokkaBär, dann nehmen Günther und ich am 22. Juli im Greek Haus am WRG-Fest teil, dann richten wir alle vier, also Olli, Uwe, Günther und ich, am 29. Juli das sechste Betreute Trinken mit Musik in Harrys Bierhaus aus sowie am 9. September dessen siebte Ausgabe – und am 28. Oktober bespielen wir im Kufa-Haus die Halloween-Party. Der Kufa-Verein existiert ja nun auch seit zehn Jahren schon, und auch, wenn ich kein Gründungsmitglied bin, weil ich von Vereinen damals nichts hielt, war ich doch Teil des Silver Clubs, von dem diese Initiative ausging. 2023, wir haben seit fast vier Jahren wieder ein soziokulturelles Zentrum in Braunschweig, nachdem ein Politiker das FBZ 2002 gegen ein Luxushotel austauschte. Quiznight, sagte Chris? Das sollte die Denksportgruppe Nowak wissen, oder? Oh, der Burger ist fertig. Danke, Dominik!
Matthias Bosenick