#191 Perry Como singt Jimi Hendrix

Donnerstag, 10. August 2023

Vergangene Woche machte mich Chris indirekt darauf aufmerksam, dass ich ja das Badsha als neuen Riptide-Nachbarn noch gar nicht besuchte: Als ich aus dem Riptide kam und den Heimweg einschlug, hatte ich die Gelegenheit, ihm und seinem Begleiter einen guten Appetit zu wünschen, denn sie erhielten gerade ihr bestelltes Essen. Da ich heute etwas später im Magniviertel unterwegs bin als sonst, ist das Badsha bereits gerade so geöffnet und ich trete ein. Noch ist drinnen ausreichend Platz, Inhaber Baljinder und ich setzen uns an einen der freien Tische des verwinkelten Restaurants mit für europäische Blicke landestypischer Dekoration und er berichtet mir aus der Geschichte seines Restaurants.

„Am 3. Januar 2008“ eröffnete Baljinder das Badsha, erzählt er. Kurz darauf war ich ein, zwei Mal auch dort essen und jedes Mal begeistert, ich kann mir nicht ausmalen, warum es dabei blieb. Schon immer residierte das Restaurant im Magniviertel, für Baljinder ist dies die beste Adresse der Stadt, weil das Viertel bei den Braunschweigern so beliebt ist: „Sie sagen, das ist okay, die alte Stadt, die deutschen Leute kennen es sehr gut.“ Zu Beginn hatte das Badshar indes mit Schwierigkeiten zu kämpfen, „es lief nicht richtig“ und steigerte sich nur langsam. „Jetzt haben wir zu 99 Prozent Stammgäste“, freut sich der Inhaber. Er habe sich selbst Druck gemacht: „Wer herkommt, soll wiederkommen, wir versuchen, alle Gäste glücklich zu machen.“ Sein Erfolgsrezept veränderte er dabei nicht: „Es ist alles gleich geblieben, das Personal auch, immer der gleiche Geschmack, wir haben die Gewürze nie geändert.“

Für das Badsha ein Zugewinn ist die Freigabe dreier vormaliger Parkplätze als Außensitzfläche direkt vor der Tür, sagt Baljinder: „Das bringt was.“ Zuvor war die Zahl der Sitzplätze draußen arg begrenzt und somit kaum etwas los, wenn mal die Sonne herauskam. „Jetzt ist es gut besucht“, freut sich Baljinder, denn der Zuwachs an Tischen fängt den Andrang auf. „Sonst mussten wir Gäste zurückschicken“, sagt er, doch in diesem Sommer könne das Badscha-Team sie endlich alle draußen bewirten, und in der Tat, der Außenbereich ist umfangreich ausgestaltet und gut besetzt.

Baljinder kommt aus Nordindien, erzählt er, und legt Wert darauf, dass die Küche im Badsha authentisch ist: „Genau wie zu Hause.“ Natürlich müsse hier und da etwas an die deutsche Zunge angepasst werden, insbesondere, was die Schärfe betrifft, doch staune er, wie viele Gäste schärfer äßen als er selbst: Vier Schärfe-Stufen biete das Badsha an, „wir essen selber nur 2, manche Deutsche essen 4“. Nordindien heißt genauer Panjab, „wir sind Sikhs“, erklärt Baljinder, „die mit dem langen Bart und dem Turban“, was auf ihn indes beides nicht zutrifft. Indische Kultur begegnet mir vornehmlich über den Umweg England, stelle ich fest, und Baljinder nickt. Panjabi MC fällt mir etwa ein, Baljinder strahlt, „Mundian To Bach Ke“ sei ein großartiger Disco-Hit gewesen. Finde ich auch, obwohl ich damals, 2002, beim ersten Hören noch dachte: Wie nervig, das werde ich nie mögen! Und ab dem zweiten Hören liebte ich es. Besonders den Remix mit dem Beat von Knight Rider.

Zusehends mehr Gäste nehmen draußen Platz, Baljinder widmet sich ihnen und ich lenke meine Schritte ins Riptide. Dort kommt der Badsha-Chef nur selten hin, „ich hab keine Zeit“, aber gelegentlich nehmen ihn seine Kinder mit, „überall, meistens Pizza“, lacht er. Wir verabschieden uns, ich mache mich auf den kurzen Weg. Vorbei an Busenfreundin, die umziehen müssen, wie ich bei Facebook las, weil der Starkregen im Juni die Geschäftsräume unbenutzbar machte, und vorbei an Ida & Zoe, die mit neuer Betreiberin wieder am Start sind, nur um diese Uhrzeit nicht mehr.

Auf dem Magnikirchplatz ist nach vier Wochen Aprilwetter endlich wieder die Sonne ausgebrochen. Wie schön das wieder aussieht, Schirme und Bäume recken sich in den blauen Himmel, endlich sind die Schirme nicht mehr dazu da, den Regen abzuweisen, und man wünscht sich gar, sie seien zugeklappt, damit man der rar in Erscheinung tretenden Sonne unbegrenzt angesichtig werden könne. Drinnen verrät mir Dennis, dass Chris noch im Büro ist, daher suche ich mir flugs einen der umkämpften Plätze draußen und warte dort auf ihn. Fündig werde ich in direkter Nachbarschaft zu den Tischen von Barnaby’s Blues Bar, hier fließt alles zusammen. Die Marketender räumen ihre Wochenmarktstände vor der Kirche schon wieder zusammen, vor mir nutzen Kinder den Kiesboden als Sandkiste und spielen mit Autos und Förmchen.

Bei mir wird’s heute wieder Wolters und Falafelfladenbrot, Tuana nimmt meine Bestellung entgegen. Sie ist mir noch nicht bekannt, dabei bestünde die Gelegenheit dazu nicht erst seit heute: „Ich bin schon lange da, seit Juni wieder fest“, erzählt sie. „Ich war davor eine lange Zeit im Ausland und habe bis letzten Oktober hiergearbeitet, fast ein Jahr.“ Dieses Ausland interessiert mich, sie lacht: „Lanzarote, die Kanarischen Inseln überhaupt, ich war da bei einer internationalen Tanzkette eingestellt.“ Mit der zog sie „von Hotel zu Hotel“, quer über die Inseln, „wo wir gerade waren“, und führte eben Tänze auf. „Jetzt kam ich zurück, um zu arbeiten, um Freunde und Familie zu sehen, und dann geht’s in Richtung Studium“, ergänzt Tuana, bevor sie sich den Gästen am Nachbartisch zuwendet.

Und ich mich meinem Buch, Frauenfußball-WM-Öffentliches-Gucken ist ja bei Spielen, die für Europa zwischen nachts und mittags stattfinden, am Nachmittag etwas schwierig, zudem ist heute Spielpause, morgen erst geht es in Australien und Neuseeland mit dem Viertelfinale weiter. Schade, dass Waru nicht mehr dabei ist. Aber Japan, und aus Japan kommt auch der Autor, dessen jüngstes Buch vor mir liegt: „Erste Person Singular“ von Haruki Murakami. Der Name war mir zwar vertraut, aber kein Buch, bis Andrea sich dessen „Hard-Boiled Wonderland und das Ende der Welt“ auf Spotify von David Nathan vorlesen ließ und so begeistert war, dass ich bei Graff an dem nun vor mir liegenden Buch nicht vorbeigehen konnte, ohne es ihr mitzubringen. Es bestätigte Andreas positiven Eindruck von dem Autoren, und wie es der Zufall will, erzählte mir Micha jüngst bei einem Bummel durch den Buchladen, dass er früher auch gern Murakami las und ihn nur etwas aus den Augen verlor. Halb durch habe ich das Buch erst, und mir als Verfasser von Rezensionen gefällt besonders die Geschichte „Charlie Parker Plays Bossa Nova“, in der Murakami erzählt, dass er als junger Mensch eine Platte dieses Titels für eine Rezension erfand, acht Jahre nach „Bird“ Parkers Tod und einige Zeit nach der breitenwirksamen Vermarktung des Bossa Nova überhaupt, und damit die Fans des Jazzsaxophonisten aufbrachte – einige fanden es pietätlos, andere hätten die Platte gern hören wollen: „Bird“ und Antônio Carlos Jobim, eine Traumpaarung. Laut Geschichte findet der Ich-Erzähler 15 Jahre später eine Kopie dieses Albums in New York in einem Plattenladen, doch als er sie am nächsten Tag dort kaufen will, um herauszufinden, welchen Scherz man sich da erlaubte, behauptet der Händler, dass er sie niemals in seinem Sortiment hatte. Einige Nächte später erscheint Parker dem Erzähler im Traum, spielt ihm einen Song von diesem nichtexistenten Album vor und bedankt sich für die Rezension. Als wäre all das nicht schon lustig genug, spielten die Musiker Miłosz Konarski und Wojtek Rejdych daraufhin ein Album mit dem Titel „Charlie Parker Plays Bossa Nova (What If)“ ein, das es real bei Youtube und Spotify zu hören gibt.

Auf seinem Weg zum nächsten Termin macht Chris für eine kurze Begrüßung Halt an meinem Sitzplatz. Es gibt einiges zu erzählen, kündigt er an, doch müsse er das auf unsere nächste Begegnung verschieben. Kurz frage ich ihn nach dem Magnifest, von dem ich las, dass es vom 8. bis 10. September stattfinden werde. So geht es Chris auch: „Das habe ich in der Zeitung gelesen“, erzählt er. Ob und wie sich das Riptide in das traditionelle Altstadtfest einbringen kann und wird, sei indes noch in Absprache. Dann muss er los, erwähnt aber noch, dass die Graffiti-Ausstellung in Hamburg bis zum 10. Januar verlängert wurde, was entsprechende im Café verteilte Flyer mir bereits verrieten, und dass er gern im Badsha essen geht.

Jetzt kommt ja auch mein bestelltes Essen, Patricia stellt mir Bier und Falafelfladenbrot auf den Tisch. Da schlendert Werner herüber, der mit einem Freund bei Barnaby’s sitzt und Gezapftes genießt. „Es ist schön hier“, stellt er in die Runde blickend fest, „wir versacken hier auch ab und zu.“ Er zwinkert und kehrt an seinen Platz zurück. Bei einem anderen Werner waren wir mit Rille Elf jüngst wieder, draußen vor Harrys Bierhaus, in einer Regenpause mit klarem Himmel legten wir zum sechsten Mal unter dem Motto „Betreutes Trinken mit Musik“ auf, und es war fabelhaft, viel los, gute Stimmung, und obwohl wir den Song von Thin Lizzy nicht spielten, war es tatsächlich „Dancin‘ In The Moonlight“. Dafür wies uns die Polizei eine Woche zuvor im Greek Haus am frühen Nachmittag in die Grenzen, indem sie die Außenbeschallung untersagte. Damit verschwand unser Beitrag zu den WRG-Kulturtagen leider hinter verschlossenen Türen. In Harrys Bierhaus kehrt Rille Elf in Kürze zurück: Günther spielt am 18. August unter dem Motto „Sound Transmission From The Heavy Underground“ psychedelische Stromgitarrenmusik und das Betreute Trinken nehmen wir am 2. September wieder auf.

Mein nächstes Getränk hier im Riptide betreut Dominik, der mir noch ein Wolters bringt. Bald geht es an den Heimweg, wieder vorbei am Lessingplatz, von dem aus ich bei der Kulturnacht erstmals den Weg auf das Gelände der Aegidienkirche fand, in der zurzeit das Braunschweigische Landesmuseum untergebracht ist, wie mir eine Mitarbeiterin vergangene Woche auf dem Rückweg vom Riptide erzählte, weil das eigentliche Museumsgebäude am Burgplatz zurzeit saniert wird. Deshalb also ist auch die Lego-Ausstellung „Hanse Steinreich“ des Landesmuseums in die Brüdernkirche ausgelagert, noch bis zum 27. August ist sie dort zu sehen. Hinter Aegidien, so die Mitarbeiterin, war zudem der erste Standort des Museums, diese Interimslösung ist somit eine temporäre Rückkehr. Und sie kündigte an, dass The Twang dort nächste Woche Donnerstag, am 17. August, auf der Bühne im Hof auftreten. Heute ist es für eine Stippvisite zu den „Göttinnen des Jugendstils“ im Landesmuseum bereits zu spät, aber dafür komme ich auf dem Heimweg am MokkaBär nicht vorbei, vor dem Leute sitzen und in die fledermausumflatterte Dämmerung quatschen. Endlich wieder Sommer! Auch wenn Mauersegler und Schwalben mit ihrer Reise nach Süden bereits den Herbst einläuten.

Matthias Bosenick

www.krautnick.de
Fakebook

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert